„Kaspar“ am Berliner Ensemble: Sprachgewitter und Möbel-Chaos im Pavillon

Als Claus Peymann damals, im Mai 1968, bei der Uraufführung von Peter Handkes Kaspar Regie führte, verließen viele Zuschauer schon nach zehn Minuten das Frankfurter Theater am Turm, wie die ZEIT notierte. Die Rolle als Unruhestifter und Rebell pflegt er bis heute, wie er erst vor kurzem mit seinem wutschnaubenden Offenen Brief an die Berliner Kulturbürokratie unter Beweis stellte, den er wie im klassischen Drama vom Boten im Roten Rathaus abgeben ließ.

Die Wiederaufführung von Handkes Frühwerk im Pavillon seines Berliner Ensembles überließ der Intendant Peymann jedoch Sebastian Sommer. Diesmal ging auch niemand vorzeitig, aber die 90 Minuten waren nicht nur für den Hauptdarsteller Kaspar (Jörg Thieme), sondern auch für die Zuschauer anstrengend. Dafür sorgt der Chor aus sechs Einflüsterern, die sich unter das Publikum gemischt haben und hysterisch wie Jürgen Klopp in seinen schlechtesten Zeiten von der Seitenlinie auf den armen Kaspar in seinem chaotisch aufgetürmten Verhau aus Tischen und Stühlen einbrüllen.

In den 90 Minuten passiert wenig mehr als die schrittweise Wandlung des Hauptdarstellers vom naiven, überfordert Stammelnden im Unterhemd, der vergeblich nach Orientierung sucht und zunächst nur einen Satz beherrscht, zu einem akzeptierten, adrett gekleideten Mitglied der Gemeinschaft: Unter monotonen, an den Nerven zerrenden „Ordnen. Stellen. Legen. Setzen. Stellen. Ordnen. Legen. Setzen. Legen. Stellen. Ordnen. Setzen“-Befehlen sortiert er den Möbel-Berg zu einer ordentlichen Tafel, an der neben dem Schauspieler-Chor und der Souffleuse auch große Teile des Publikums Platz nehmen müssen.

Leider bleibt dieser Abend eine Fingerübung auf der Nebenspielstätte. In mehreren Kritiken wurde zurecht beklagt, dass nicht erkennbar ist, warum das BE dieses weithin vergessene Stück wieder auf die Bühne brachte. Es wäre spannender gewesen, den sprachgewitternden Text darauf abzuklopfen, was er uns heute, Jahrzehnte nach seiner Entstehung, noch sagen hat. Doch der Abend „kommt nicht so recht im Heute an“, wie Esther Slevogt in ihrer Nachtkritik monierte, so dass er der gesellschaftsdiagnostische Ertrag überschaubar bleibt, wie Christine Wahl im Tagesspiegel feststellte.

Kaspar von Peter Handke. – Regie: Sebastian Sommer. – Mit: Jörg Thieme, Claudia Burckhardt, Ursula Höpfner-Tabori, Boris Jacoby, Nadine Kiesewalter, Marko Schmidt, Thomas Wittmann. – Premiere im BE-Pavillon: 21. Februar 2015. – Ca. 90 Minuten ohne Pause

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert