Heiner Müller-Revue

„Der Auftrag“ von Kuttner/Kühnel zu Gast am DT und ein Videoschnipselabend

„Die Zeit hätte gern, dass sie über Müller hinweggehen könnte. Oder sie glaubt sie wäre schon über ihn hinweggegangen“, konstatiert Jürgen Kuttner.

Heiner Müllers Texte sind von scharfkantigen Brüchen geprägt, sie sind vollgepackt mit Gedankensplittern aus zweieinhalb Tausend Jahren europäischer Kulturgeschichte „von Aischylos bis Honecker“, alles andere als leicht verdaulich. Das passt nicht in eine Zeit, die es gerne „gluten- und lactosefrei“ mit „kleinen Häppchen“ hat.

Jürgen Kuttner zog mit seinem bewährten Regiepartner Tom Kühnel die Konsequenz, dass sie Heiner Müllers „Der Auftrag“ als bunten Stilmix inszenieren: mit Pudel-Ballett, „Vom Winde verweht“-Parodie, vielen wehenden roten Fahnen und Corinna Harfouch im Pierrot-Kostüm. Das Publikum ist gefordert, sich auf diesen assoziativ durch Müllers Gedankenwelt springenden Varieté-Reigen, der live von den „Tentakeln von Delphi“ (um Harfouchs Sohn Hannes Gwisdek) untermalt wird, seinen eigenen Reim zu machen.

Im Zentrum der Clownerien steht der Text: die Schauspieler bewegen ihre Lippen zum Playback. Der Meister selbst spricht zu uns vom Band, die Inszenierung verwendet einen Mitschnitt von Heiner Müllers Lesung an der Volksbühne im Jahr 1980. In seinem charakteristischen, monotonen, raunenden Stil liest er sein ein Jahr zuvor erschienenes Stück über eine gescheiterte Revolution in Jamaika: als Zigarrenqualm-umwölktes Orakel von Friedrichsfelde erscheint er vor dem inneren Auge der Zuschauer.

Das Playback-Prinzip wird nur selten unterbrochen, den einzigen längeren Monolog hat Corinna Harfouch, die sich durch den Albtraum „Mann im Fahrstuhl“ sächselt. Er handelt von einem Angestellten, der in Panik gerät, weil er zu spät zur Vorladung beim Chef kommt, und sich zu allem Überfluss auch noch überraschend in Peru wiederfindet, als er den Fahrstuhl verlässt.

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Dieses Kabinettstückchen erhält den stärksten Szenenapplaus beim Berliner Gastspiel von Kuttners/Kühnels „Der Auftrag“. Es ist auch die stringenteste Nummer in dieser Müller-Revue, die von den Ruhrfestspielen Recklinghausen und dem Schauspiel Hannover co-produziert wurde und am Oster-Wochenende im Deutschen Theater Berlin zu Gast war.

Die knapp 90 Minuten waren am Karsamstag aber nur die Ouvertüre zu einem Videoschnipselvortrag von Jürgen Kuttner, der kurz vor Mitternacht endete, weil der Personalrat des Deutschen Theaters auf die Einhaltung der vorgeschriebenen Zeiten für die Bühnenarbeiter gepocht hatte. Man ist ja hier schließlich nicht an der Volksbühne, wo Frank Castorf sich, sein Ensemble und die Zuschauer gerne mal sechs Stunden mit Stücke-Zertrümmerungen martert.

Kuttner nimmt sein Publikum auf eine Tour unter dem Titel „Müller? Den Namen wird man sich merken müssen“ mit, die sowohl amüsanter als auch präziser als seine „Der Auftrag“-Inszenierung ist. Großartig, welche Fundstücke er diesmal wieder ausgegraben hat: eine späte Müller-Aufnahme wenige Jahre nach dem Mauerfall, als er trotzig einen Brecht-Text rezitiert und mit schelmischem Lächeln darauf pocht, auch nach dem Scheitern des real existierenden Sozialismus von einer gerechteren Gesellschaft und Alternativen zum Status quo zu träumen, was dem damaligen Zeitgeist komplett widersprach. Oder ein Interview aus einer Literatursendung des DDR-Fernsehens Mitte der 70er, in dem alle drei Beteiligten in Andeutungen sprechen und auch das Tabuthema seiner verbotenen Stücke zwischen den Zeilen durchschimmern. Lassen. Der schmale Müller thront wie ein gelassener Buddha in der Mitte. Oder das unfreiwillig-komische Porträt des ZDF, das ihn kurz vor seinem Tod im Plattenbau in Friedrichsfelde besuchte und dem West-Publikum mit Nahaufnahmen aus einer zugemüllten Tristesse zu den pathetischen Klängen des Gefangenenchores ein wohliges Schaudern über den Rücken jagen wollte.

Weitere „Der Auftrag“-Termine in Hannover

Bilder von Katrin Ribbe: Corinna Harfouch als Pierrot und Jonas Steglich mit Roter Fahne

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