Schlangenbisse

Jan Philipp Gloger setzt bei seiner deutschen Erstaufführung von „Schatten (Eurydike sagt)“ am Badischen Staatstheater Karlsruhe zunächst ganz auf Entschleunigung.

Zunächst lässt er eine Passage des Mythos aus „Orpheus und Eurydike“ aus Ovids „Metamorphosen“ verlesen, erst dann kommen die fünf Schauspielerinnen auf die Bühne.

Die ersten Szenen sind von demonstrativer Langsamkeit geprägt. In scharfer Abgrenzung zum Jelinek-Staccato greift er zunächst zwei Motive aus der stark gekürzten Textfläche heraus, die er eingehend beleuchtet: zunächst die große Lust am Shoppen und das Interesse für Mode, die einige Jelinek-Texte prägen. Hier steht Lisa Schlegel im Mittelpunkt.

hp2_0419

Später folgt ein langer, etwas zu zäh geratener Monolog der einsamen Eurydike im Schlafzimmer (Ute Baggeröhr) über Depression und Melancholie. Diese Passage erschließt sich erst richtig, wenn man die Gedanken von Jelinek über Freuds Aufsatz „Trauer und Melancholie“ kennt.

Die Langsamkeit der ersten Hälfte ist vor allem dann ungewöhnlich, wenn man die Wiener Uraufführungs-Inszenierung von Matthias Hartmann kennt, die vor drei Jahren zu den Autorentheatertagen ans Deutsche Theater eingeladen war. Dieser Abend badete in seinen kabarettistischen Pointen, eine Jelinek-Puppe sorgte für Lacher, auf der Showtreppe erschien auch ein leibhaftiger Orpheus, der bei Gloger ganz abwesend bleibt.

Als man es schon gar nicht mehr erwartet, legt Gloger den Schalter doch noch um: Annette Büschelberger tritt an die Rampe und rechnet in einer galligen Suada mit den Groupies, Tussis und Casting-Shows von DSDS bis GNTM ab, von der sich auch Gernot Hassknecht noch eine Scheibe abschneiden könnte, wie Wolfgang Behrens meinte.

Der Abend gewinnt an Farbe und Substanz. In einer sehr guten Schatten-Choreographie (Video: Christoph Otto) suchen die fünf Spielerinnen nach ihrer Identität, treten einen Schritt zurück und kommentieren sich selbst und ihre Schattenprojektionen.

hp2_0377

Bis zum Finale im Schlamm nimmt Glogers Abend deutlich an Fahrt auf und erweist sich am Ende als durchdachte Jelinek-Inszenierung, die als Mix aus Neuerzählung eines antiken Mythos, feministischem Manifest und Abrechnung mit Popkultur/Castingshows auf den ersten Blick ungewöhnlich daherkommt. Dennoch schafft sie es, überraschende Akzente zu setzen und gut zu unterhalten.

„Schatten (Eurydike sagt)“ hatte am 27. November 2014 im Kleinen Haus des Badischen Staatstheaters Karlsruhe und war am 20. Juni 2016 bei den Autorentheatertagen am Deutschen Theater Berlin zu Gast

Bildrechte: Falk von Traubenberg

One thought on “Schlangenbisse

  1. Pingback: Schatten – Das Kulturblog

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert