Wut/Rage

Karin Neuhäuser legt wieder los: in einer selbst für Jelinek-Verhältnisse sehr langen Wut-Suada setzt sie zu einem Rundumschlag an. Sie steht ganz allein auf der Bühne, trägt eine Uniform mit dem Aufschrift „Brandwache“ und wickelt umständlich ein Absperrband, wie es nach Unfällen oder Anschlägen verwendet wird, umständlich auf und wieder zu und wieder auf und wieder zu.

Ohne Punkt und Komma und nur einem kleinen, mit Hilfe der Souffleuse überbrückten Aussetzer prägt sie das erste Viertel von Sebastian Nüblings Inszenierung „Wut/Rage“ zum Spielzeitauftakt des Hamburger Thalia-Theaters.

Als die restlichen Ensemble-Mitglieder eintreffen, setzt ein Gewusel ein. Die Partymäuse feiern, tanzen, schreien, neigen aber auch gerne zu derben und rassistischen Ausfällen: Regisseur Nübling hat Jelineks Text „Wut“, den sie nach dem Mordanschlag auf die „Charlie Hebdo“-Redaktion geschrieben hat und der von Nicolas Stemann im Frühjahr 2016 an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt wurde, mit „Rage“ des britischen Dramatikers Simon Stephens verschnitten.

Diese collagenhafte Textüberschreibung geht zu Lasten klarer Konturen. Immer wieder blitzen Apercus, Wortspiele und feine Beobachtungen Elfriede Jelineks auf, bevor die nächste Party-Welle darüber hinwegschwappt. Ein Leitmotiv dieses Abends ist die Inkontinenz der Figuren, die ihre Körperflüssigkeiten nicht bei sich behalten kann. Die Spielerinnen und Spieler übergeben sich oder erleichtern sich mitten auf der Bühne, ene von ihnen hat eine minutenlange Pinkelszene an der Bühnenrampe und der Abend endet auch mit den „Pissepfützen“.

Auffällig ist vor allem die Ratlosigkeit der Figuren, die den ganzen Abend prägt. Die Phänomene, die hier beschrieben und durch den Assoziationsmixer gewirbelt werden, sind vielleicht noch zu frisch und überfordernd. Falk Richter hat allerdings schon vor einem Jahr mit „Fear“ an der Schaubühne einen genauer beobachtenden Abend produziert. „Wut/Rage“ springt zu konfus durch das allgemeine Unbehagen: mal zur AfD, dann zu den Islamisten, zwischendurch immer wieder in die Club-Szene.

Lohnenswert ist vor allem ein Blick ins Programmheft: Dort ist ein Auszug aus Carolin Emckes Rede zu lesen, die sie zur Eröffnung der Ruhrtriennale gehalten hat. Die Ratlosigkeit ist dort mit mehr analytischer Schärfe und stärkeren Bildern als in diesem Theaterabend am Thalia beschrieben.

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Bilder: Armin Smailovic

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