Berlinale 2010: The Oath – Einblicke in das alQaida – Netzwerk und Guantánamo

Laura Poitras Dokumentarfilm The Oath ist einer der ersten Höhepunkte dieser Berlinale. Sie porträtierte im Jemen den Mann, der als Abu Jandal zwischen 1996 und 2000 im engsten Zirkel um Osama bin Laden mitwirkte: Er war einer seiner Leibwächter und prüfte als eine Art Empfangschef die Interessenten der Ausbildungslager auf ihre Zuverlässigkeit. Heute lebt er als Taxi – Fahrer im Jemen und bemüht sich um einen neuen Job.

 

Die biographischen Brüche diese schillernden Figur werden in knapp 90 Minuten porträtiert. Die größte Leistung der New Yorker Dokumentarfilmerin, die auch an der Yale University lehrt, ist es, sich das Vertrauen dieses Mannes erworben zu haben. Am Ende ist die Hauptfigur aber doch nicht ganz zu fassen: Zu oft vermeidet er klare Festlegungen. Im einen Moment kritisiert er zwar die Anschläge von 9/11, weil sie zu viele unschuldige Opfer forderten… Am nächsten Tag bittet er aber darum, diese Passage zu löschen. In weiteren Passagen sieht er den Westen in einem Krieg gegen den Islam. Als er über battlefields schwadroniert, lässt er im Ungefähren, was er konkret damit meint.

Immerhin wird dieser Abriss seines Lebenslaufs deutlich: Er wächst als Sohn jemenititischer Eltern in Saudi – Arabien, zieht bereits als Jugendlicher in den Bosnien – Krieg während der 90er Jahre teil, geht dann mit einer kleinen Gruppe nach Tadschikistan, bis 1996 bin Laden auf die Gruppe aufmerksam wird und sie nach Afghanistan einlädt. Er verkehrt jahrelang im engsten Kreis um bin Laden und schwört ihm und Allah den Treueeid, der dieser Dokumentation den Titel gab. Dort lernt er nach eigener Aussage auch alle Attentäter von 9/11 kennen. 2000 zieht es ihn zu seiner Frau und seinen Kindern. Er verlässt Afghanistan und geht nach Jemen. Als die dortige Regierung nach dem Anschlag auf die USS Cole schärfer gegen islamistische Netzwerke vorgeht, landet er für einige Jahre im Gefängnis. Nach einem von staatlichen Stellen initiierten Dialogprogramm gibt er seitdem den geläuterten Ex – Fanatiker, der sich gerne von CNN bis al – Arabija präsentiert, aber auch dort in den meisten Aussagen vage bleibt. Er betont, dass er vor allem von jüngeren Anhängern der alQaida als Verräter eingestuft wird und angeblich ganz oben auf einer Todesliste steht…

Ungewöhnlich nah lässt Abu Jandal das Filmteam vor allem an seinen heutigen Alltag heran: Man sieht ihn auf seinen Taxi – Fahrten, wie er mit den Kunden um den Preis feilscht, wie er mit seinem kleinen Sohn spielt und betet. Wie er mit ihm gemeinsam vor dem Fernseher sitzt, der Kleine aber statt der Nachrichten über Anschläge in Afghanistan lieber Tom und Jerry sehen möchte. Außerdem schart er eine Gruppe Pubertierender um sich, die an seinen Lippen hängen. Auch in diesen Einstellungen wird das Bild aber wieder unscharf: Was genau vermittelt er den Jungen? 

Die zweite zentrale Figur des Films ist Salim Hamdan, Abu Jandals Schwager, obwohl er nie direkt im Bild auftaucht. Während seiner wilden Jugendjahre warb Abu Jandal diesen an und verpflichtete ihn als Fahrer für Bin Ladens Netzwerk. Hamdan blieb länger in Afghanistan, wurde prompt nach 9/11 von US – Truppen gefangengenommen und nach Guantánamo ausgeflogen. Sein Name ging oft durch die Weltpresse, da er einer der ersten war, gegen die vor den von der Bush – Administration eingerichteten Militärkommissionen ein umstrittener Prozess gemacht wurde. Im Film wird auch diese Phase intensiv beleuchtet: Laura Poitras bietet spannende Dokumentaraufnahmen von den Pressekonferenzen seiner Ankläger und Verteidiger auf der US – Basis Guantánamo Bay. Die Verhandlungen selbst waren natürlich tabu. Im Sommer 2006 gelang Hamdan und seinem Anwalt, dem Lieutenant Commander Charles Swift, ein überraschender Sieg vor dem Supreme Court gegen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, der dazu führte, dass das Statut der Militärkommissionen stärker an rechtsstaatliche Grundsätze angepasst wurde und Hamdan seit Januar 2009 wieder in Freiheit ist. Wie sich herausstellte, war er im Gegensatz zu seinem Schwager nur ein ganz kleiner Fisch in Bin Ladens Entourage, dessen Aufgaben sich fast nur auf Chauffeur- und Logistikdienste beschränkten.

The Oath wurde im Forum der Berlinale erstmals außerhalb der USA gezeigt und beeindruckt vor allem, wenn man bedenkt, mit wie vielen Schwierigkeiten die Dreharbeiten verbunden warnten. Laura Poitras meinte im Publikumsgespräch, dass sie versuchte, „unter dem Radar“ zu bleiben. Beinahe hätte sie aber an diesem Wochenende gar nicht auf dem Festival anwesend sein können: Das Sicherheitspersonal am New Yorker Flughafen stellte sich gegen ihre Ausreise quer, bis sie einen Anwalt einschaltete. Offizielle Gründe für diese Schwierigkeiten wurden ihr nicht genannt: Lag es daran, dass sie zu viele Stempel des Jemen im Reisepass hatte und dieses Land seit dem weihnachtlichen Attentatsversuch von Detroit stärker in die Aufmerksamkeit rückte? Oder lag es daran, dass das Thema dieses Films, der vor kurzem bereits auf dem Sundance – Festival in den USA Premiere feierte, zu unbequem war?

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