Fassbinders Ausgrenzungs-Melodram „Angst essen Seele auf“ am Gorki

Die Rainer Werner Fassbinder-Adaption Angst essen Seele auf, die als letzte Premiere vor der Sommerpause im Juni am Gorki Premiere hatte, stand vor derselben Herausforderung wie Thomas Ostermeiers Bearbeitung von Die Ehe der Maria Braun an der Schaubühne: die Kinobilder und vor allem die Leistungen der beiden weiblichen Hauptdarstellerinnen, die den Filmen jeweils ihren unverwechselbaren Ton gaben und sie zu Klassikern werden ließen, sind als hohe Messlatte in den Köpfen des Publikums präsent. Hier ist es die bleierne Schwere der Brigitte Mira mit ihrer markanten Volkstrauertags-Stimme, wie nachtkritik.de schrieb, die sich als Witwe mit einem Putzjob mehr schlecht als recht über Wasser hält. Jede Szene mit ihr spiegelte das große Thema des Films von 1974: ihren Schmerz über die starre kleinbürgerliche, fremdenfeindliche Moral, die ihr nicht mal ein kleines Glück gönnt. Im anderen Fall war es die Grandezza der Hanna Schygulla, die als Maria Braun vom Aufstieg in der Wirtschaftswunder-Republik träumt und erkennen muss, dass sie sich in Illusionen verrannt hat.

Ebenso wie Hanna Schygullas Fußspuren für Ursina Lardi an der Schaubühne zu groß waren, nimmt man auch Ruth Reinecke am Gorki die Rolle der von Brigitte Mira verkörperten Emmi Kurowski nicht recht ab. Als sie ihren Ali (Taner Şahintürk), einen marokkanischen Gastarbeiter, wie es damals in den 70ern hieß, kennenlernt, gerät sie in eine Spirale aus Klatsch und Tratsch, Mobbing und Ausgrenzung. Doch was im Film eine beklemmende Studie über die gegenseitige soziale Kontrolle war, wird hier zum Sketch. Die Nachbarinnen, die ihr mit Sticheleien zusetzen, sind bei Aram Tafreshian und Dimitrij Schaad lustige, aber letztlich harmlose Karikaturen älterer, verklemmter Damen. Konsequenterweise ließ Regisseur Hakan Savaş Mican dann auch das depressiv-dramatische Ende des Films einfach weg.

Angst essen Seele auf ist eine handwerklich solide gemachte Regiearbeit, die aber am Problem so vieler Adaptionen krankt: sie ist eine unterhaltsame Variation des Originals, ohne ihr das Wasser reichen zu können. Für die heiteren Momente sorgte neben den beiden Männern in Oma-Klamotten vor allem Daniel Kahn, der mit seinem Akkordeon und Songs in wildem Denglish-Sprachgewirr, das Gayle Tufts vor Neid erblassen ließe, die Bühnenhandlung kommentiert.

Angst essen Seele auf. – 1 Stunde 40 Minuten. Seit der Premiere am 6. Juni 2014 im Gorki-Repertoire

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