Sebastian Hartmanns „Woyzeck“ polarisiert am Deutschen Theater beim Publikumsgespräch

Zum Regiekonzept und der Inszenierung von Sebastian Hartmanns Woyzeck am Deutschen Theater Berlin habe ich ich hier schon eine ausführliche Kritik nach einer der ersten Aufführungen veröffentlicht. Der Regisseur und seine beiden Schauspieler boten nach der 9. Aufführung ein Nachgespräch mit dem Publikum an, wo sie über ihre Arbeitsweise und polarisierende Szenen sprachen:

Mit seinen beiden Akteuren Katrin Wichmann und Benjamin Lillie entwarf Hartmann in den Proben mehrere Module oder „Spielzeuge“, wie er es nannte, die sie frei kombinieren und variieren, so dass jeder Abend unterschiedlich verläuft. Die beiden Schauspieler berichteten, dass es für sie gerade den Reiz dieser Inszenierung ausmache, nie genau zu wissen, was als nächstes passieren und welchen Impuls das Gegenüber setzen wird.

Wer die Chance zum direkten Vergleich hatte, kann bestätigen: An den ersten Abenden nach der Premiere im Oktober 2014 hielten sich Wichmann und Lillie noch stärker an ein stützendes, vorher verabredetes Korsett, inzwischen lassen sie ihrer Spielfreude freien Lauf und erfinden jeden Abend neu. Bei der jüngsten Aufführung war eindrucksvoll, dass auch Voxi Bärenklau als Lichtdesigner noch stärker eigene Akzente setzte: das gute Timing des Wechsels zwischen Licht und Schatten und seine Videoprojektionen verstärkten die düstere Stimmung, während Franz Woyzeck und seine Marie miteinander in dem engen trichterförmigen Tunnel rangen.

Kontrovers wurden gestern vor allem zwei Szenen diskutiert, die auch schon in den Kritiken der Feuilletons umstritten waren: zum einen die Nacktszene von Benjamin Lillie, als er vom Arzt zur Urinprobe aufgefordert wird, wild durch die Gegend hüpft und „Pippi, los!“ ruft, zum anderen sein Ausflug in eine Phantasiesprache, mit der er Katrin Wichmanns Vortrag aus Büchners Hessischem Landboten kommentiert. An diesen beiden Stellen verließen mehrere Besucher türenschlagend den Saal, andere kicherten amüsiert.

Die Meinungen im Publikum gingen beim Nachgespräch weit auseinander: ein Besucher bekannte, dass er mit dem Woyzeck-Stoff noch nie viel anfangen konnte, diese Bearbeitung aber sehr gelungen fand. Eine Frau rief dazwischen, dass Benjamin Lillies Auftritt die erste Nacktszene gewesen sei, die sie amüsiert habe, worauf der Schauspieler mit einem Jubelschrei und gereckter Faust reagierte. Die Gegenposition beklagte, dass die Inszenierung an den fraglichen Stellen zu sehr in Klamauk abdrifte und albern wirke. Eine Besucherin monierte, dass es aus ihrer Sicht dem Zeitgeist geschuldet sei, dass Regisseure sehr ernste Arbeiten zu düsteren Themen durch einen comic relief unterbrechen. Dadurch liefen sie Gefahr, ihre eigene Arbeit zu entwerten.

Die drei Akteure entgegneten darauf, dass sie bei ihrer Probenarbeit nicht weiter über Publikumsreaktionen nachgedacht, sondern ihren Blick auf die Figuren und den Stoff entwickelt hätten. Regisseur Sebastian Hartmann entgegnete auf den Vorwurf des Klamauks, dass die Zuschauer genauer beschreiben sollten, was konkret auf sie albern wirke, dass aber die Szenen dieses Abends genau seinen Humor träfen. Benjamin Lillie sagte, dass die Phantasiesprache für ihn zu Franz Woyzeck gehöre, aus dem es in diesem Moment herausbreche. Auch die Nacktheit gehöre für ihn bei den medizinischen Tests durch den Arzt zur Figur, deshalb habe er dies bei den Proben so angeboten.

Woyzeck von Sebastian Hartmann am Deutschen Theater Berlin

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