Kresniks „120 Tage von Sodom“: Gangnam Style-Breakdance und plakative Kritik am Konsumfaschismus

„Politische Kritik auf Stammtischniveau!“ schimpft ein Zuschauer, bevor er die Tür nach etwas mehr als einer halben Stunde krachend hinter sich zufallen lässt.

Tatsächlich ist die Überdeutlichkeit, mit der uns Johann Kresnik seine Botschaft vom widerwärtigen „Konsumfaschismus“ wie mit dem Holzhammer einbläuen will, eine der Schwächen des Abends. Schon das Bühnenbild ist eine einzige Anklage: es strahlt auf den ersten Blick etwas Ehrwürdiges, fast Sakrales aus. Auf den zweiten Blick erkennt man eine Flut von Markenlogos, das Who´s´Who der Global Player und hedonistischen Lifestyle-Marken präsentiert sich in engem Schulterschluss mit dem Konterfei von Angela Merkel und den Bannern von CIA und NSA. Noch bevor die letzten Nachzügler ihren Platz gefunden haben, wird ein Brei aus Radio-Werbe-Jingles eingespielt, die sich gegenseitig in ihrem ebenso marktschreierischen wie nervtötenden Werben um Aufmerksamkeit überbieten.

Das Ensemble strömt von den Seiten auf die Bühne und legt mit einer Gangnam Style-Nummer los, also jenem Chart-Hits aus Südkorea, der vor einigen Jahren die Oberflächlichkeit des gleichnamigen Schicki-Micki-Stadtteils von Seoul aufs Korn nahm. Zwei Tänzer liefern dazu eine beeindruckende Breakdance-Performance ab.

Von da an ging es allerdings bergab: ein Quintett aus Militär, Kirche, Banken, Politik und Justiz hat die Gesellschaft fest im Griff und lässt sich immer neue Demütigungen für die Jugend einfallen, die bewusst ungebildet und als sexuell jederzeit verfügbares Frischfleisch gehalten wird. Ihnen gehen sechs nackte, mit schwarzer Farbe beschmierte Männer zur Hand: Stützen des Systems, die Gegenstände apportieren oder die Masse in Schach halten müssen.

Die nächsten knapp neunzig Minuten lässt die Inszenierung kaum eine Gelegenheit aus, sich als anachronistisches Bürgerschrecktheater lächerlich zu machen: vor einigen Jahrzehnten mag dieser penetrante Einsatz von nackten Körpern, Kunstblut und Splatter-Ästhetik voller aufgeschnittener Bäuche und gegrillter Körperteile vielleicht aufrüttelnd gewirkt haben. Hier wirkt dieses Attitüdentheater, wie es André Mumot in seiner Nachtkritik treffend bezeichnete, nur unfreiwillig komisch.

Wer möchte bestreiten, dass in unserem Wirtschaftssystem einiges schief läuft? Aber mit seinem zur Pose erstarrten Haudrauf-Stil schafft es Kresnik wohl kaum, den notwendigen Diskussionsprozess anzustoßen. Zu leicht kann man diesen Abend und die zu plakativ vorgetragene Kritik abtun. „Johann Kresnik geht es scheinbar wirklich um Gesellschafts- und Zivilisationskritik; doch seine Haudegen-Mentalität kennt weder dramaturgische Entwicklung noch thematische Tiefe oder gar irgendeine Art von Erkenntnisvermittlung und so gehen wir angesichts dieser an unfreiwillige Persiflage grenzenden Verbrechen und Leiden vollkommen ungerührt aus der Vorstellung“, fasst Elisabeth Nehring im Deutschlandfunk das Scheitern dieses Abends zusammen.

Die 120 Tage von Sodom nach Marquis de Sade und Pier Paolo Pasolini. – Regie: Johann Kresnik, Libretto: Christoph Klimke, Bühne und Kostüm: Gottfried Helnwein, Musik: Ali Helnwein, Choreografie: Ismael Ivo, Johann Kresnik, Licht: Torsten König, Dramaturgie: Sabine Zielke, Christoph Klimke. – Mit: Sarah Behrendt, Hannes Fischer, Inka Löwendorf, Roland Renner, Ilse Ritter, Enrico Spohn, Helmut Zhuber, Juan Corres Benito, Andrew Pan, Ismael Ivo, Valentina Schisa, Sylvana Seddig, Sara Simeoni, Osvaldo Ventriglia, Elisabetta Violante, Yoshiko Waki, Günter Cornett, Helmut Gerlach, Wagner Peixoto Cordeiro, Arnd Raeder, Christian Schlemmer, Leandro Tamos, Katia Fellin, Paula Knüpling, Ruby Mai Obermann, Estefania Rodriguez, Nathalie Seiß, Marlon Weber, David Eger, Lukas Steltner, Lucia Itxaso Kühlmorgen Unzalu, Aldana Ximena Palacin Gonzáles. – Ca. 100 Minuten, keine Pause. – Premiere an der Volksbühne: 27. Mai 2015

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