10. cineastische Weltreise: Düsteres aus dem Iran, Groteskes aus Russland, Höhepunkte aus Jordanien und Norwegen

Ein Pflichttermin am Jahresende für Filmfreunde ist das „Around the World in 14 films“-Festival, das in diesem Jahr zum zehnten Mal stattfand und erstmals in die Kulturbrauerei umgezogen ist.

Die größte Überraschung des Festivals war für mich „Theeb“ aus Jordanien. Der Debütfilm von Naji Abu Nowar ist auf den ersten Blick ein Abenteuerfilm über einen kleinen Jungen, der sich mit seinem großen Bruder genretypisch durch allerlei Widrigkeiten kämpfen muss. Der Film überzeugt nicht nur durch seine für einen Erstlingsfilm erstaunliche ästhetische Brillanz: die Wüstenregionen des Nahen Ostens wurden selten so eindrucksvoll gefilmt wie hier, das Wadi Rum war als Drehort eine exzellente Wahl, dort entstand auch schon David Leans Monumentalfilm „Lawrence von Arabien“. Beeindruckend ist an „Theeb“ auch, wie beiläufig und doch präzise er über das Jahr 1916 erzählt, als die Kolonialmächte willkürlich Grenzen zogen und Territorien durchschnitten – mit den bekannten, bis heute spürbaren Spätfolgen. Auch deshalb lohnt sich dieser Film, der in Venedig den Preis der Reihe „Orizzonti“ im Jahr 2014 bekam, seitdem auf zahlreichen Festivals lief, aber bisher noch keinen Kinoverleih in Deutschland hat.

Es ist das Verdienst von Bernhard Karl und seinem kleinen Team, dass sie jedes Jahr Filmperlen, die sonst nie auf deutschen Leinwänden zu sehen wären und zu Unrecht vergessen würden, aufspüren und mit Unterstützung des Auswärtigen Amts, arte und prominenter Filmpaten präsentieren.

Mein zweites Highlight war „Louder than bombs“ des Norwegers Joachim Trier. Er hat sich mit seinem Junkie-Drama „Oslo, 31. August“ einen Namen als großes Talent des europäischen Autorenkinos gemacht. In seinem dritten Werk arbeitete er erstmals mit bekannten internationalen Stars zusammen: mit der französischen Ausnahmeschauspielerin Isabelle Huppert, dem jungen Hollywood-Star Jesse Eisenberg (er spielte Mark Zuckerberg in „The Social Network“) und dem Iren Gabriel Byrne.

„Louder than Bombs“ ist ein sensibel erzähltes, bis in die Nebenrollen exzellent gespieltes Familiendrama über die Leerstelle, die der Tod der Mutter hinterlassen hat. Der Film kreist um die Frage, ob ihr Tod tatsächlich ein Autounfall oder ein Suizid war, und vor allem wie die drei Männer damit umgehen: der Witwer (Byrne), der schon erwachsene Sohn (Eisenberg), der seine eigene Familie gegründet hat und an seiner Uni-Karriere bastelt, und schließlich der pubertierende Devin Druid, der mit 16 Jahren eine beeindruckende Leistung zeigt. Dank der vielen großen Namen wird dieser Film am 7. Januar 2016 deutschlandweit in den Kinos starten.

Es ist immer wieder erstaunlich, wie es iranische Filmemacher schaffen, auch ohne offizielle Drehgenehmigung und trotz aller Schikanen des Regimes das Weltkino zu bereichern. Jafar Panahi wurde für seine Taxi-Tour durch Teherean auf der Berlinale 2015 mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet. Wesentlich düsterer, aber nicht weniger sehenswert ist „Paradise“, der Debütfilm von Sina Ataeian Dena, der beim Festival von Locarno mit zwei Preisen ausgezeichnet wurde.

Er erzählt von der Lehrerin Hanieh, die jeden Morgen durch öde Industriebrachen an eine Mädchenschule fährt, die vom Drill der Direktorin beherrscht wird: politische und religiöse Instruktionen gibt es regelmäßig über das Megaphon. Fußball ist ebenso streng verboten wie Nagellack. Das geringste Verrutschen des Hijabs führt zu Ermahnungen.

Von diesem Film bleibt vor allem der depressive, leere Blick in Erinnerung, mit dem die Hauptdarstellerin Dorna Dibaj durch die alles andere als paradiesischen Zustände wandert und mit der Ministerialbürokratie um eine Versetzung an eine andere Schule ringt. Reizvoll ist dieser iranische Film auch wegen der vielen Details, die der Regisseur sehr bewusst eingeflochten hat. Auf dieser Entdeckungsreise begegnen uns Verbotsschilder, graue Vorstädte von Teheran, große „Nieder mit USA und Israel“-Propaganda-Banner, im Hintergrund laufen TV-Auftritte der Verbündeten Assad und Chávez zum Versagen der EU in der Griechenland-Krise).

Ein Stammgast internationaler Festivals ist Jia Zhangke. Sein neues Epos „Mountains may depart“ spielt auf drei Zeitebenen (1999, 2014 und 2025) und prangert den Turbokapitalismus zu den Klängen der „Pet Shop Boys“-Hymne „Go west“ vehement an. Der zweite Erzählstrang, die Suche nach Identität und den heimatlichen Wurzeln, ist aber streckenweise etwas zu kitschig geraten. Deshalb ist Zhangkes neuestes Werk nicht so überzeugend wie seine Vorgänger.

Lohnenswert könnte es auch sein, ins russische Kino hineinzuschnuppern. Vasili Sigarev zeigt in seiner märchenhaften Groteske „The Land of Oz“ ein Panoptikum derangierter Gestalten. Mittendrin findet sich Lenka Shabadinova wieder, die gleichmütig durch all die Absurditäten, die ihr widerfahren, hindurchschreitet und sich auch von kuriosen Verhaltensweisen ihrer Mitmenschen nicht aus der Ruhe bringen lässt. Dieser Film schwebt ganz in seiner eigenen Welt und trägt manchmal etwas zu dick auf, ist aber für den einen oder anderen vielleicht als Beispiel dafür sehenswert, wie junge russische Regisseure die Lage in ihrem Land kommentieren.

Einige Special interest-Filme, die mir weniger gut gefielen: „The Court“ aus Indien zeigt die Willkür in einem Gerichtsverfahren und ist ein wohltuender Kontrapunkt zu den Bollywood-Produktionen, die den dortigen Markt beherrschen. „The Embrace of Serpent“ (Kolumbien) bietet eindrucksvolle Aufnahmen aus dem Amazonas-Dschungel und besonders von Schlangen, ist aber als Meditation über Schamanismus und Kolonialismus etwas zu langatmig geraten. Gegen die Austeritätspolitik der EU-Troika wendet sich der Portugiese Miguel Gomes in seiner „Arabian Nights“-Trilogie, die jedoch den Vorschusslorbeeren nicht gerecht wurde.

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