Die Paranoia der grauen Mäuse: Kafka-Abend „Ein Käfig ging einen Vogel suchen“

Die fünf grauen Mäuse, denen Andrea Schraad einen Einheitslook (Seitenscheitel, Brille, beiger Pullunder, Aktentasche) verpasst hat, sind bedauernswerte Gestalten. Angststarr verkriechen sie sich in ihrer Wohnung. Vor den Zumutungen der Außenwelt sind sie aber auch hier nicht sicher: die Stimme im Radio verliest Nachrichten vom Wüten der IS-Terroristen und dem vergeblichen Ringen um eine „europäische Lösung“.

Wenn es nicht so traurig wäre, mitzuerleben, wie die Idee der europäischen Einigung erodiert und die Mitgliedstaaten der EU seit Monaten daran scheitern, sich auf die naheliegende Lösung einer solidarischen Verteilung der Flüchtlinge zu einigen, könnte man die grotesken Gipfel-Treffen, an denen sich die EU-Regierungschefs entlang hangeln, fast für eine Erfindung von Franz Kafka halten: Bürokratisiert, ein Trott eingespielter Rituale, die durch unerwartete Ereignisse kurz aufgemischt werden, und doch wieder nur mit Formelkompromissen enden oder sich komplett ergebnislos vertagen.

Der auf fünf Klone (Elias Arens, Moritz Grove, Bernd Moss, Jörg Pose, Natali Seelig) aufgespaltene Protagonist von Andreas Kriegenburgs Kafka-Abend „Ein Käfig ging einen Vogel suchen“ am Deutschen Theater hat es längst aufgegeben, sich mit diesen Details zu befassen. Er hat sich in seine kleine Höhle zurückgezogen, völlig überfordert von einer Welt da draußen, die aus den Fugen scheint und ihm nur Angst macht. Panisch verkriecht er sich im „Bau“ und steigert sich immer tiefer in seine Angstphantasien hinein, dass das Unbekannte und Fremde auch in seinen letzten Zufluchtsort eindringen könnte.

Gefährlich wird diese Haltung vor allem dann, wenn sie sich aggressiv gegen Dritte wendet. „Er tut uns nichts, aber er ist uns lästig, das ist genug getan; warum drängt er sich ein, wo man ihn nicht haben will. Wir kennen ihn nicht und wollen ihn nicht bei uns aufnehmen. Wir fünf haben zwar früher einander auch nicht gekannt, und wenn man will, kennen wir einander auch jetzt nicht, aber was bei uns fünf möglich ist und geduldet wird ist bei jenem sechsten nicht möglich und wird nicht geduldet“, schreien die fünf ihren Fremdenhass in Kafkas „Die Gemeinschaft“ heraus. Diese Erzählung hat Andreas Kriegenburg mit weiteren Texten und Fragmenten zu einem Collage-Abend verbunden und auf seine schiefe Bühne gebracht.

Derartig lautsprecherische Pegida-Parolen bleiben an diesem Theaterabend aber eher die Ausnahme: die Figuren verkriechen sich lieber mit ihrer Lebensuntüchtigkeit in ihrem Angstkokon. Diese Haltung beschreibt „Ein Käfig ging einen Vogel suchen“ unterhaltsam, aber mit auf die Dauer ermüdender Redundanz. Die spielerische Annäherung an die besorgten Bürger wäre noch sehenswerter, wenn sie weniger im Slapstick herumtändeln würde. Es muss ja nicht gleich zu einer frontalen Abrechnung mit AfD und Co. wie Falk Richters „Fear“ an der Schaubühne kommen, aber mehr Zuspitzung hätte der recht brave Abend gut vertragen können.

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