Hysteria – Gespenster der Freiheit

Karin Beiers Spielzeit-Eröffnung im Schauspielhaus Hamburg beginnt sehr zäh: ein gutsituiertes Paar (Yorck Dippe und Julia Wieninger) kehrte aus Asien zurück und hat sich eine protzige Villa mit bodentiefen Fenstern bauen lassen. Zur Housewarming-Party sind diverse nervige Gestalten aus ihrem Wohlstands-Umfeld eingeladen, die einer Salonkomödie von Yasmina Reza entsprungen sein könnten.

Karin Beier inszeniert nach Motiven von Luis Bunuel ' Gespenster der Freiheit ' : Hysteria. Premiere im Deutschen Schauspielhaus Hamburg: 17. September 2016.

Doch erstmal passiert (fast) gar nichts: die Partygesellschaft hat sich hinter ihren Glasfassaden verschanzt. Sie bewegen nur die Lippen und versuchen sich an ein paar Slapstick-Einlagen. Auch nach der Exposition bleibt Schlimmes zu befürchten: die Partygesellschaft verheddert sich in Small-Talk. Erstaunlich ist, wie dankbar das Hamburger Premieren-Publikum die flachen Witzchen bekicherte. Eine Kostprobe: da werden „Baumhaus“ und „Bauhaus“ verwechselt, der Elektriker bezeichnet sich mit Schenkelklopfer-Humor als „Rohrverleger“.

Als der Abend schon kaum noch zu retten scheint, bekommt er doch noch die Kurve: der Mittelteil von „Hysteria – Gespenster der Freiheit“ ist sehenswertes Theater. Karin Beier hält den sehr, sehr besorgten Bürgern den Spiegel vor. Die schicke Party-Gesellschaft, zu der ein merkwürdiger Nachbar in abgerissenen Klamotten (Michael Wittenborn) gestoßen ist, steigert sich in eine Spirale aus Hysterie hinein.

Kleinigkeiten werden aufgebauscht, jedes Geräusch wird als Anzeichen der nahenden Katastrophe gedeutet. Mit flotten Dialogen, viel Geschrei und sehr gut choreographiertem Gezappel von Sayouba Sigué und Paul Behren nimmt der Abend Fahrt auf. Julia Wieningers prägnante Monologe an der Rampe sind kurze Momente der Entschleunigung in der allgemeinen Überspanntheit der Figuren.

Wie der Titel des Abends andeutet, ließ sich Beier von Motiven aus Filmen von Luis Buñuel („Würgeengel“, „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“) aus den 60er und 70er Jahren: das dekadente Großbürgertum feiert eine letzte Party in seiner Blase, hat aber schon jeden Bezug zur Realität verloren und steuert darauf zu, sich selbst zu massakrieren.

Karin Beier inszeniert nach Motiven von Luis Bunuel ' Gespenster der Freiheit ' : Hysteria. Premiere im Deutschen Schauspielhaus Hamburg: 17. September 2016.

Die Paranoia, in der sich die Figuren auf der Bühne unentwirrbar einspinnen, ist zu gelungenen Szenen verdichtet. Die Referenz sind weniger die Filme von David Lynch mit seinen rätselhaften Symbolen und Bildwelten, sondern die galligen französischen Gesellschaftssatiren der 70er Jahre, die von der Aufbruch-Stimmung des Pariser Mai ’68 und den Ausläufern der Nouvelle Vague geprägt waren.

Was das alles mit uns heute zu tun hat, liegt auf der Hand: die Überfremdungsphantasien besorgter Bürger werden nur zu Beginn explizit angesprochen und bilden den Resonanzraum, in dem dieser Theaterabend funktioniert.

Ähnlich wie der Anfang ist auch der Schluss ein Schwachpunkt der Inszenierung. Als längst klar ist, auf welchen Abgrund dieser Abend zusteuern muss, ist das Ende zu sehr in die Länge gezogen und auch etwas zu plakativ gestaltet.

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Bilder: © David Baltzer

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