Frühlings Erwachen

Frank Wedekinds „Frühlings Erwachen“ hat eine ungewöhnliche Rezeptionsgeschichte hinter sich: die satirische Abrechnung mit der Lehrer- und Elterngeneration war für das wilhelminische Kaiserreich eine heftige Provokation und wurde dementsprechend schnell zensiert. Heute ist das Drama über die Pubertätsnöte der Jugendlichen eine beliebte Schullektüre, auf den Bühnen wird es allerdings nur noch selten gespielt.

Das hat auch gute Gründe: Wedekinds Figuren sind grell überzeichnet und seine Sympathien klar verteilt. Die Eltern und Lehrer sind Karikaturen und Schießbudenfiguren, die keine Autorität mehr besitzen, sich aber weiter an ihren verknöcherten Moralvorstellungen festklammern.

Genauso stellt sie auch Claus Peymann auf die Bühne. Sein Theater ist von der Texttreue geprägt: ohne Verfremdungen und Aktualisierungen lässt er den Wedekind quasi „vom Blatt spielen“. Dass das streckenweise altbacken wirkt, ist fast unausweichlich.

Im Publikumsgespräch erzählte Peymann, warum er sich 2008 mit 71 Jahren entschied, die „Kindertragödie“ (so der Untertitel) über Pubertätsnöte zu inszenieren: er hat damals drei Schauspiel-Studenten für sein Ensemble entdeckt, deren Vitalität in diesem Stoff besonders gut zur Geltung kommt. Seitdem ist das Stück im Repertoire, nur wenige Umbesetzungen wurden nötig.

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Als Melchior Gabor hatte Sabin Tambrea damals sein Debüt am Berliner Ensemble. Für ihn war es der Anfang einer Karriere, die bisher recht steil verlief. Neben regelmäßigen tragenden Rollen am BE in Inszenierungen von Katharina Thalbach, Robert Wilson oder Claus Peymann überzeugte er auch in Filmen, z.B. als „Ludwig II.“ oder als SS-Mann im KZ-Drama „Nackt unter Wölfen“. Den Moritz Stiefel spielt Lukas Rüppel: es ist eine Ironie der Geschichte, dass er seit 2013 am Schauspiel Frankfurt bei Oliver Reese engagiert ist, der ab der kommenden Saison das Berliner Ensemble übernehmen wird. Peymann wetterte im Publikumsgespräch erneut, dass Reese die Verträge der BE-Schauspieler nicht verlängern wird, sondern einen kompletten Neustart plant, was seit Tagen kontrovers diskutiert wird.

Die Dritte im Bunde der Nachwuchsschauspielerinnen war damals Anna Graenzer als Wendla. Sie war am Berliner Ensemble auch lange als „Ophelia“ in Leander Haußmanns „Hamlet“ oder als „Wendy“ in Robert Wilsons „Peter Pan“ zu sehen, ist aber derzeit in Elternzeit. Ihre Rolle übernahm mittlerweile Karla Sengteller, die ebenfalls an der UdK studierte.

Dem jungen Ensemble machen diese Rollen sichtlich Freude, auch wenn der ganze Abend etwas holzschnittartig in Schwarz-Weiß-Malerei verharrt, die sich konsequent bis zum Bühnenbild (Achim Freyer) und zur Lichtregie durchzieht.

Das Manko der gestrigen Vorstellung waren jedoch vor allem die zahlreichen Schulklassen, die ihren Unmut über den zwangsweise verordneten Theaterbesuch dadurch demonstrierten, dass sie vor allem mit lauten Gesprächen und ihren Smartphones beschäftigt waren. Das Stück auf der Bühne konnte die Aufmerksamkeit meiner Nachbarinnen nur dann für kurze Zeit fesseln, als sich die jungen Schauspieler zur Gruppen-Masturbation in der Erziehungsanstalt auszogen und sie ein Foto knipsen konnten, bevor sie sich ihrem Smartphone zuwandten. Ihre männlichen Mitschüler waren zum Glück bei weitem nicht so störend.

Den Eindruck der Schauspieler, dass es anfangs unruhig gewesen sei, die Jugendlichen dann aber vom Stück regelrecht in ihren Bann gezogen wurden, kann ich ganz und gar nicht bestätigen. Der Spannungsbogen hielt nicht über drei Stunden (inklusive Pause), was den Abend auch für das übrige Publikum anstrengend machte.

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Bilder: Monika Rittershaus

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