Atlas des Kommunismus

Hinter dem wuchtigen Titel „Atlas des Kommunismus“ verbirgt sich eine unterhaltsam-anekdotische Dokumentartheater-Revue, die pünktlich zum Republik-Geburtstag auf die untergegangene DDR zurückblickt.

Im Stil von Rimini Protokoll suchten die argentinische Regisseurin Lola Arias und ihr Dramaturg Aljoscha Begrich Expertinnen des Alltags, die von ihren prägenden Erfahrungen berichten: Salomea Genin floh vor den Nazis nach Australien. Bei ihrer Rückkehr nach Berlin – zunächst in den West-Teil, dann in den Osten – war sie glühende Anhängerin kommunistischer Ideale, aber einsam. So ging sie den Anwerbeversuchen des MfS ins Netz. Stolz fühlte sie sich als „Kundschafterin des Friedens“, erst spät kamen ihr in den 80er Jahren die Zweifel, über die sie mittlerweile auch ein Buch geschrieben hat.

Monika Zimmering berichtet von ihrer spannenden Arbeit als Konferenzdolmetscherin und war live dabei, als sich Günter Schabowski am 9. November 1989 durch seine Maueröffnungs-PK stotterte. Obwohl sie sich keinen Meter wegbewegt hatte, fand sie sich kurz darauf in einem anderen Land und ohne Arbeit, stattdessen mit Ende 40 in einer Schleife von Umschulungen wieder.

Ganz anders erlebte Jana Schlosser den Untergang der DDR. Sie war schon als Schülerin auf Konfrontationskurs zur SED-Linie, brach ihre Ausbildung ab und zog in den 80ern mit ihrer Punkfrisur die Blicke auf sich. Mit der Band „Namenlos“ sang sie über „Nazis in Ost-Berlin“. Dieser Song, den sie auch live auf der Bühne mit dem Musiker Jens Friebe und ihren Mitstreiterinnen performte, brachte ihr einige Jahre im Knast ein. Kurz vor dem Mauerfall war sie im Kreuzberger Alternativ-Biotop gelandet. Nach anfänglicher Irritation genoss sie in den Neunzigern die Freiräume, die das zusammenwachsende Berlin in seinen Kellern und auf den Mauerbrachen bot.

Die beiden stärksten Passagen des Abends gehören Ruth Reinecke und Mai-Phuong Kollath. Erstere gehört seit 1979 zum Gorki-Ensemble, ist aber derzeit nur im „Kirschgarten“ und in „Angst essen Seele auf“ zu erleben. Sie steigt auf den Tisch und versetzt sich zurück in das Jahr 1988, als Volker Brauns „Übergangsgesellschaft“ dem verkrusteten Regime den Spiegel vorhielt. Ruth Reinecke taucht nicht nur wieder in ihre damalige Rolle ein, sondern spielt mit ihren Kolleginnen auch die Publikumsgespräche nach.

Mai-Phuong Kollath erzählt, wie sie als vietnamesische Vertragsarbeiterin nach Rostock kam. Zu DDR-Zeiten war der Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung nicht erwünscht. Ihr Leben bestand aus Schlafen, Essen und Schuften weit unterhalb ihrer Qualifikation. Außerdem beschreibt sie ihre Konfrontation mit den Nazis nach der Wende und wie sie die Krawalle in Rostock-Lichtenhagen erlebte, die mit Bewährungsstrafen für die Täter endeten.

Der Abend wird abgerundet von Tucké Royale, der über seine Pubertät in Quedlinburg in den 90ern erzählt, und von Helena Simon, die über die Auseinandersetzungen um die Kreuzberger Gerhart Hauptmann-Schule berichtet. Wie die neunjährige Matilda Florczyk ist sie erst nach dem Mauerfall geboren und musste erst bei ihrer Mutter nachbohren, wie das Leben in der DDR war.

„Atlas des Kommunismus“ hangelt sich revueartig an diesen autobiographischen Berichten entlang: Mal wird einfach nur „Ein bisschen Frieden“ geträllert. Dann gibt es wieder starke Momente wie die beiden beschriebenen Szenen von Ruth Reinecke und Mai-Phuong Kollath. Das ist durchaus unterhaltsam, vor allem wegen des sympathischen Ensembles aus Laien und Bühnen-Profis.

„Atlas des Kommunismus“ wurde am 8. Oktober 2016 zur Eröffnung des „Uniting Backgrounds“-Festivals am Gorki uraufgeführt. Weitere Informationen und Termine„Atlas des Kommunismus“ wurde am 8. Oktober 2016 zur Eröffnung des „Uniting Backgrounds“-Festivals am Gorki uraufgeführt. Weitere Informationen und Termine

Bild: Esra Rotthoff

2 thoughts on “Atlas des Kommunismus

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