Jelineks Wut

Die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek macht es den Lesern ihrer Textfläche „Wut“, die sie kurz nach den Pariser Anschlägen auf das Satire-Magazin Charlie Hebdo und auf einen jüdischen Supermarkt im Januar 2015 schrieb, nicht einfach.

Für ihren Hang zu Kalauern, Wortspielen, assoziativen Ausfransungen und mythologischen Anspielungen ist sie bekannt. „Wut“ ist aber selbst für Jelinek-Verhältnisse ein Rundumschlag, der überraschend weit ausholt, worunter die Stringenz arg leidet.

Die Autorin zerbricht sich in „Wut“ im wahrsten Sinne des Wortes den Kopf über Gott und die Welt. Sie hadert mit Gott und den Bildern, die sich die Menschen von ihren Göttern gemacht haben. Stimmen besorgter Wutbürger, die Pegida-Parolen von sich geben, stehen unvermittelt neben Sätzen aus einer islamistischen Perspektive. Ein echter roter Faden ihrer Textfläche ist schwer zu erkennen, sie kehrt immer wieder zu der Frage zurück, woher Wut, Hass und Verrohung kommen, die in unserer Gesellschaft in den vergangenen Monaten und Jahren lauter herausgeschrien werden als wir es aus friedlicheren, weniger aufgewühlten Zeiten gewohnt sind.

Diese mäandernde Textfläche macht es aber auch den Regisseuren schwer, die sie auf die Bühne bringen möchten. Nicolas Stemanns Uraufführungsinszenierung an den Münchner Kammerspielen (Kritik) uferte ähnlich aus wie Jelineks Vorlage, die damals von Live-Konzert-Einlagen und mehr oder minder gelungenen Gags überlagert wurde. Sebastian Nübling verschnitt in seiner Inszenierung „Wut/Rage“ Jelinek mit einem Drama des Briten Simon Stephens (Kritik). Heraus kam ein Abend, der wesentlich mehr Stephens als Jelinek enthielt, letztere blieb vor allem in den Solo-Auftritten von Karin Neuhäuser präsent.

WUT

Martin Laberenz entschied sich in seiner Inszenierung für die Kammerspiele des Deutschen Theaters Berlin, die Brocken dieser Textwüste in all ihrer Ungeschliffenheit auf die Bretter zu knallen. Die fünf Spielerinnen und Spieler wirken im Abendkleid und Smoking wie Fremdkörper auf der kargen, leeren Bühne. Im Zentrum formen Neonröhren den Stück-Titel „Wut“, im Lauf des Abends leuchten kurzzeitig auch die Begriffe „Hass“ und „Zorn“ auf.

Die assoziativen Satzungetüme werden vom Ensemble recht monoton gesprochen, manchmal geradezu beiläufig, mit dem Champagnerglas in der Hand. Im Lauf des Abends bricht Laberenz aus diesem Korsett aus und versucht – ähnlich wie Stemann bei der Münchner Uraufführung – theatrale Mittel, die dieses Aufsagen einer Bleiwüste weiter auflockern.

Andreas Döhler darf über die hässlichen Plastikgläser motzen und als sächsischer Pegida-Aktivist über das linksliberale Theaterpublikum schimpfen. Mit einer Kalaschnikow wird aufs Publikum gezielt. Sabine Waibel setzt sich eine Jelinek-Perücke (ein aus zahlreichen Jelinek-Inszenierungen bekanntes, sehr abgedroschenes Stilmittel) auf und heult sich an der Schulter der Mitspielerinnen aus, dass ihr Mann eine andere Frau begehrt. An der Seite von Linn Reusse und Anja Schneider machen sie sich wie drei Furien über Sebastian Grünewald her, der gedemütigt, nackt über die Bühne gezerrt und dabei von den drei Frauen mit gezückten Mobiltelefonen gefilmt wird, bevor er wie Jesus am Kreuz landet und in einem Kostüm als Hahn zurückkehrt.

Am Ende flattern die Manuskriptseiten wild durcheinander und ins Publikum. Die fünf Protagonisten des Abends singen „SOS“ von ABBA. Mit der Textzeile „I wish I understood“ endet dieser knapp 2,5-stündige Abend in derselben Ratlosigkeit, die auch den Jelinek-Text „Wut“ prägt, der leider einer ihrer schwächeren ist.

Premiere war am 26. Februar 2017. Weitere Informationen und Termine

Bilder: Arno Declair

 

 

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