Ödipus und Antigone

„Ach, diese verfluchte Treppe!“, stöhnt Kreon, als er auf seinen Kothurnen Schritt für Schritt die beeindruckende rote Showtreppe herunterstakst, die Julian Wolf Eicke und Thomas Bo Nilsson bauten. In den Inszenierungen der „Antigone“-Tragödie tritt Kreon meist als starrsinniger, machtbewusster Herrscher von Theben auf: Ich bin der Staat, ich bin das Gesetz! In Ersan Mondtags „Ödipus und Antigone“ ist dieser Kreon (gespielt von Aram Tafreshian) ein Zauderer mit Fistelstimme. Ein interessanter Ansatz, aus dem man noch mehr hätte machen können…

Alle Spielerinnen und Spieler dieses Abends treten stark überschminkt mit zerfurchten, zombiehaft entstellten Gesichtern auf und tragen purpurne Gewänder, die zwischen Cindy aus Marzahn und liturgisch-sakralen Priestergewändern oszillieren. Diese Kostüme von Josa Marx sind eindrucksvoll und ragen deutlich aus der Berliner Theater-Landschaft heraus. Diese ästhetische Konzept ist interessant, ist sich aber über weite Strecken selbst genug. Mit diesem Pfund hätte die Inszenierung stärker wuchern können.

ANTIGONE UND OEDIPUS Regie Ersan Mondtag Premiere am 17.2.2017 am Gorki Theater Berlin

Die erste Szene ist vielversprechend: Eteokles und Polyneikes, die beiden Brüder der Antigone, schlurfen in Kothurnen auf die Bühne und geraten in den tödlich endenden Streit, der die ganze Tragödie in Gang bringt. Orit Nahmias, die Fachfrau für komische Interventionen in den Stückentwicklungen von Yael Ronen, und Yousef Sweid schlurfen in ihren Kothurnen auf die Bühne und liefern sich ein hitziges Rededuell. In dem Wortschwall geht es nicht nur um den Machtkampf aus dem antiken Mythos. Die israelische Schauspielerin und ihr palästinensischer Partner verhandeln in dieser kurzen Szene zugleich auch die Kölner Silvesternacht, die Integration der Flüchtlinge, Trumps „alternative Fakten“ und vor allem den Nahost-Konflikt mit.

Leider ging es in den folgenden knapp 90 Minuten nicht auf diesem Niveau weiter. Ersan Mondtag hat zwar eine exzellente Michung aus Gorki-Ensemble-Mitgliedern (neben Tafreshian, Nahmias und Sweid ist auch Çiğdem Teke zu nennen, die als Ismene aber recht blass bleibt) und spannenden Gästen wie dem Belgier Benny Claesens, der eine der Stützen der Simons-Ära an den Münchner Kammerspielen war, der britischen Performerin Kate Strong, die erst kurz vor Schluss ihr Können aufblitzen lässt, oder Sema Poyraz, einer der Pionierinnen des deutsch-türkischen Theaters und Kinos.

Die Zombie-Figuren spulen die beiden Sophokles-Dramen „Ödipus“ und „Antigone“ routiniert ab, das Ganze erinnert entfernt an den Stil, mit dem Harald Schmidt Klassiker der Weltliteratur im Schnelldurchlauf mit seinen Playmobil-Figuren durchspielte.

Kurz vor Schluss bekommt der Abend noch etwas mehr Leben eingehaucht, als die bibbernden und schlotternden Figuren hysterisch vor sich hinkreischen und sich von der abwesenden Antigone bedroht fühlen, die während des gesamten Stücks ein Phantom bleibt. Gleich danach gehen die Schauspielerinnen und Schauspieler zur Tagesordnung über. Der Abend endet damit, dass Benny Claesens nach Hause telefonieren muss und auf Flämisch mit seiner Mutter spricht.

Ersan Mondtags erste Arbeit auf einer der großen Berliner Bühnen zeigt gute Ansätze, ist leider kein großer Wurf, aber auf jeden Fall ein interessanter Farbtupfer in der Theater-Landschaft, die diesen Shooting-Star schon zum zweiten Mal in Folge (mit Inszenierungen aus Kassel und Bern) zum Theatertreffen einlud.

„Ödipus und Antigone“ hatte am 17. Februar 2017 im Gorki Theater Premiere. Weitere Informationen und Termine

Bild: Armin Smailovic

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