Nocturama

In „Nocturama“ zelebriert Bertrand Bonello die Langsamkeit. Scheinbar ziellos streifen Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 17 und 22 durch die Metrostrationen und Straßen von Paris. Sehr heterogen ist dieser Haufen: die einen halten sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser oder warten auf dem Amt, der Bürgersohn hat im prachtvollen Ministerium ein Vorstellungsgespräch und berichtet beiläufig von seinen Plänen, an die Kaderschmiede ENA zu gehen, als sei dies ein logischer, geradezu vorbestimmter Schritt auf seiner Karriereleiter.

Ebenso scheinbar ziellos wie seine Figuren folgt der Regisseur mal dem einen, mal dem andern aus diesem Querschnitt der französischen Jugend und provoziert die Frage, was er eigentlich erzählen will. Die immer wieder eingeblendete Uhr, die zum festen Repertoire von Thriller- und Suspense-Formaten wie der Serie „24“ gehört, weckt Erwartungen, dass bald etwas passieren muss. Die „hypnotische Anmutung“ von der Andreas Busche im Tagesspiegel schwärmte, stellt sich in der zähen ersten halben Stunde aber nicht so recht ein.

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Die Wege der Jugendlichen kreuzen sich schließlich in einem edlen Kaufhaus. Dort haben sie sich zum Ladenschluss verabredet, nachdem sie an verschiedenen Orten von Paris eine Anschlagsserie orchestriert haben. Im Kaufhaus wollen sie gemeinsam die Nacht abwarten. Naiverweise rechnen sie damit, dass ihnen niemand auf die Spur kommen wird und sie in ihr früheres Leben zurückkehren können.

Unter dem Druck der Extremsituation auf dem begrenzten Raum des mehrstöckigen Kaufhauses zeigen sich die unterschiedlichen Charaktere: der kühle Analytiker, der Abenteurer, der sich vor die Tür traut und ein Obdachlosen-Paar einlädt, die Verunsicherte, die langsam begreift, in was sie hineingeraten ist und der coole Clown, der sich in der Badewanne räkelt, seine Clique mit Frank Sinatra-Play-back unterhält und seine Späße macht.

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Im Mittelteil wirkt „Nocturama“ wie ein Dampfkochtopf, immer kurz vor der Explosion: dieses Bild in Bonellos Kopf war für ihn der Ausgangspunkt des Filmprojekts. Als es auf den Showdown zugeht, experimentiert Bonello mit Split Screens oder Handlungsschleifen, die immer wieder zu bestimmten Wegmarken zurückführen und von dort neue Abzweigungen nehmen und erzählen, was parallel in einem anderen Raum oder Stockwerk geschah.

Bonello schafft in „Nocturama“ eine Atmosphäre wie in einem Nick Cave-Song, nach dessen 2003er Album der Film auch benannt ist. Durch seine Experimentierfreude ist der Film visuell reizvoll, inhaltlich bleibt er aber doch unbefriedigend. Die Beweggründe der Figuren sind nebulös, der gesellschaftliche Hintergrund, vor dem sie agieren, wird kaum behandelt. Der Film entstand noch vor den IS-Anschlägen im November 2015 auf den Club Bataclan und auf das Stadion und wurde dadurch von der Realität überholt, so dass er etwas anachronistisch wirkt, wie der Tagesspiegel anmerkte.

„Nocturama“ startete am 18. Mai 2017 im Kino. Webseite und Trailer
Bilder: Carole Bethuel

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