Mauser

Ungewohnt ruhig, fast schon meditativ geht Oliver Frljić die erste Hälfte seiner „Mauser“-Inszenierung im Münchner Marstall an. Der nur knapp zehn Rotbuch-Seiten kurze Text von Heiner Müller wird unter dem etwas verschmitzt, aber milde dreinblickenden überdimensionalen Porträt des Meisters in verteilten Rollen gesprochen, ganz so wie es der Dramatiker in seinen Regieanweisungen vorgab.

MAUSER/Marstall

Zu elegischen Klavierklängen, einer verfremdeten Marseillaise und russischen Volksliedern performen Nora Buzalka, Christian Erdt, Marcel Heuperman und Franz Pätzold die Geschichte des Soldaten A, der vom Chor den Auftrag bekommt, in den Wirren des russischen Bürgerkriegs das Revolutionstribunal in Witebsk zu leiten und alle konterrevolutionären Elemente sowie die sonstigen Feinde zu liquidieren. Als er sich nach einigen Tagen in einen Blutrausch hineinsteigert, wird er selbst als Feind der Revolution gebrandmarkt und aufgefordert, sich dem Erschießungskommando zu stellen: „Du musst verschwinden vom Gesicht der Erde. Das Blut, mit dem Du befleckt hast deine Hand als sie eine Hand der Revolution war muss abgewaschen werden mit deinem Blut vom Namen der Revolution, die jede Hand braucht aber deine Hand nicht mehr.“ So weit, so kristallklar der Müller-Plot, die Revolution frisst ihre Kinder und spuckt sie aus.

MAUSER/Marstall

Frljić reichert ihn durch weitere kurze Müller-Passagen an: er lässt O-Töne aus einem Gespräch von Elfriede Jelinek mit Heiner Müller aus dem Jahr 1987 nachspielen. Den Text des Orakels aus Ost-Berlin spricht Alfred Kleinheinz, der sich bis dahin meist vornehm am Rand hält, während sich seine vier Mitspieler über die Bühne zerren, die Pistole gegenseitig in den Mund schieben oder die Schlinge um den Hals legen. Außerdem schmuggelte Oliver Frljic in den 90minütigen Abend eine freie Bearbeitung einer Szene aus „Germania 3“, in der Pätzold in SS-Uniform auftritt und sich – wie schon in „Balkan macht frei“ – als Alter ego des umstrittenen kroatischen Regisseurs ausgibt. Pätzold alias Frljic steigert sich in die Gewaltphantasie hinein, dass er mit dem Beil seine ganze Familie auslöscht.

MAUSER/Marstall

Einen Exzess wie die Waterboarding-Szene, die bei jeder „Balkan macht frei“-Aufführung polarisiert, gibt es diesmal nicht. Aber auch in der zweiten Hälfte von „Mauser“ verlangt Frljic seinen Schauspielern wieder sehr viel ab: Nora Buzalka dirigiert ihre nackten Kollegen wie Puppen, rollt sie als Bündel von Leichen über die Bühne und performt mit ihnen gemeinsam eine lange Holzhacker-Szene.

Ganz zum Schluss wird auch eine Müller-Büste aus Eis von Buzalka zertrümmert. Kleinheinz kommt im Look des Dramatikers zurück auf die Bühne, lässt ein paar Eissplitter in sein Whiskey-Glas fallen und seine Theater-Zigarre kurz aufleuchten, bevor die Bühne im Schwarz versinkt.

Bilder: Konrad Fersterer

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