So ein Theater!

Seit Monaten tobt ein Kulturkampf um die Berliner Theater in den Kommentarspalten von Nachtkritik, auf den Facebook-Seiten und in den Feuilletons. Unversöhnliche Lager streiten über das Pro und Contra von Tim Renners Entscheidung, nach 2,5 Jahrzehnten Castorf-Ära den studierten Theaterwissenschaftler und Museumskurator Chris Dercon als Intendant der Volksbühne zu berufen.

Der charismatische Belgier mit dem langen Künstler-Schal war als Diskussionspartner in die Urania geladen. Mit Oliver Reese, dem neuen Intendanten des Berliner Ensembles, der seit seinen erfolgreichen Stationen als Chef-Dramaturg am Gorki Theater und Interims-Intendant am Deutschen Theater ein vertrautes Gesicht ist und nach sieben Frankfurter Jahren zurückkehrt, sollte er über die „Dramen um die Berliner Bühnen“ sprechen.

Vom aufgeheizten Klima war in der knappen Stunde kaum etwas zu spüren. Im Gegenteil: das Gespräch plätscherte im gefälligen Plauderton vor sich hin. Peter Raue, der sowohl Dercon als auch das BE juristisch beraten hat, beschränkte sich auf die Rolle eines Stichwortgebers, so dass erst spät eine halbwegs lebendige Diskussion zustande kam.

Diese entzündete sich an Dercons Konzept des Reenactments historischer Aufführungen: zur Eröfnung des Hauses am Rosa Luxemburg-Platzes wird er dies am Beispiel von Samuel Beckett vorführen. Als er darüber sinnierte, dass er gerne Einar Schleefs „Sportstück“ nach Jelinek, einen siebenstündigen Exzess mit von der Decke baumelnden Schauspielern, nachspielen möchte, schüttelte Reese energisch den Kopf. Schleef sei lange tot und sein Monolog das Herzstück des Abends, der nicht einfach zu ersetzen oder zu imitieren sei. Das könnte höchstens Martin Wuttke, der das aber niemals tun werde.

Meinungsverschiedenheiten wurden auch deutlich, als Reese schilderte, in welch engem Takt er die ersten Premieren am Berliner Ensemble präsentieren wird (neue Inszenierungen u.a. von Antú Romero Nunes, Mateja Koleznik, Michael Thalheimer, David Bösch, sowie mehrere Berlin-Premieren von Stücken aus dem Frankfurter Repertoire). Dercon seufzte, dass er schon vom Zuhören dieser Aufzählung erschöpft sei, und erklärte, dass er sich an seinem Haus mehr Zeit für die Proben nehmen wolle, da Theater und Tanz nicht wie in einer „Maschine“ produziert werden sollten.

Ansonsten bot die Diskussion kaum Neues: Reese sang erneut das hohe Lied auf zeitgenössische Stoffe und das „well-made play“, rühmte die Stars des Ensembles als Publikumsmagneten und schimpfte über das „postdramatische Fieber“. Dercon erzählte stolz, dass er dem Berliner Publikum in dieser Spielzeit zwölf neue Inszenierungen und irgendwann auch ein Mehrspartenhaus-Ensemble aus Schauspielern und Tänzern präsentieren werde. Sein Anwalt Raue machte gar nicht erst den Versuch, ihm mit weiteren Nachfragen konkrete Details zu entlocken. So blieb der eloquente Kulturmanager im Allgemeinen und erntete für seine wolkigen Statements mehr Applaus als sein Sitznachbar Reese.

Nach einer kurzen Runde von Publikumsfragen war die Diskussion dann auch schon beendet: nette Plauderstunde statt des angekündigten Mottos „So ein Theater!“

Bild: Klaus Haag, Matthias Horn

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