Der kaukasische Kreidekreis

Charakteristisch für Michael Thalheimers Regiehandschrift ist die Reduktion. Bei seinem Debüt als neuer Hausregisseur am Berliner Ensemble setzte er dieses Prinzip nur zum Teil ein: Zwar hat man selten eine derart karge Bühne gesehen. Statt Olaf Altmanns überwältigend-schroffer Bühnenbilder, die „Medea“ in Frankfurt oder „Tartuffe“ an der Schaubühne zu besonderen Erlebnissen machten, dominieren hier Purismus und Leere. Die gewaltige Bühne ist kahl, auf Requisiten verzichten die Schauspieler bis auf das Bündel, das den kleinen Michel darstellen soll, komplett. Das Auge bekommt nichts, an dem es verweilen oder sich festhalten könnte. Der größte Teil der Bühne bleibt völlig schwarz. Nur ein schmaler Lichtkegel ist auf die Spieler gerichtet, die gerade dran sind, der Rest wartet im Hintergrund.

Eine starke Thalheimer-Inszenierung macht jedoch aus, dass er auch den Text radikal verdichtet. Seine „Emilia Galotti“ am Deutschen Theater war dafür ein stilbildendes, berühmtes Beispiel. Bertolt Brechts „Der kaukasische Kreidekreis“ fasst er dagegen mit Samthandschuhen an. Lag es an der Angst vor juristischen Auseinandersetzungen mit der Erbengemeinschaft des Dichters, wie sie z.B. Frank Castorf mit dem „Baal“ provozierte? Oder flößte es ihm großen Respekt ein, dass dieses Stück auf genau dieser Bühne am Schiffbauerdamm vom damaligen Hausherrn Bertolt Brecht höchstpersönlich im Oktober 1954 als deutsche Erstaufführung inszeniert wurde? Es hätte dem Abend jedenfalls gut getan, wenn Thalheimer die Handlung, die recht weitschweifig auf die berühmte Gerichtsverhandlung im Kreidekreis, wer das Kind Michel für sich beanspruchen darf, zumäandert, mit einigen Strichen weiter gestrafft hätte.

Dass dieser „Kaukasische Kreidekreis“ zu den schwächeren Arbeiten von Michael Thalheimer gehört, liegt aber vor allem an dem fast permanenten Brüllen der Schauspielerinnen und Schauspieler. Die E-Gitarre (Kai Brückner, Kalle Kalima) jault und zirpt. Die Schauspieler brüllen, schreien und röhren, um sich halbwegs verständlich zu machen. Dies gelingt aber nur eingeschränkt, vor allem ältere Zuschauer erkundigten sich bei ihren Sitznachbarn, was auf der Bühne gesprochen wurde. Zu den seltenen stillen Momenten, die in normaler Lautstärke gespielt werden, gehörten einige Soli der Hauptdarstellerin Stefanie Reinsperger. Der Ex-Burgtheaterstar wurde bei ihrem Einstand in Berlin zurecht gefeiert und schreit sich die Seele aus dem Leib. Jede Normalsterbliche müsste die lädierten Stimmbänder tagelang schonen und mit Kamillentee gurgeln, sie wird morgen schon wieder als Grusche auf der Bühne stehen.

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Ingo Hülsmann, eine feste Bank so vieler Thalheimer-Inszenierungen, bleibt diesmal erstaunlich farblos. Zum Gelingen des Abends hat er wenig beizutragen, lässt stattdesssen eklige Qualmwolken ins Publikum ziehen und versucht sich in der Rolle des Sängers an einem monotonen Sprechgesang. Tilo Nest und Veit Schubert sind recht präsent, ersterer lässt als Richter Azdak die Schlussszene vor Gericht jedoch unter zu viel Slapstick und Kunstblut versinken, die erneut aufgedrehten Verstärker der Musikanlage tun ihr Übriges. Nico Holonics und Sina Martens, zwei hoch gehandelte Talente, die Intendant Oliver Reese aus Frankfurt nach Berlin mitgebracht hat, dürfen in Nebenrollen ihr Können noch zu wenig unter Beweis stellen. Eine vielversprechende Entdeckung ist Carina Zichner, die als Panzerreiter an der Seite von Veit Schubert eine gut choreographierte Szene performen darf, die aus dem eintönigen Klangteppich herausragt.

Thalheimer-Inszenierungen sind oft packende, lange nachwirkende Erlebnisse. Diesmal blickten aber schon nach der Hälfte viele Leute auf ihr Smartphone-Display und störten neben den Rentnern, die das schlecht artikulierte Brüllen nicht verstanden, zusätzlich.

Bilder: Matthias Horn

 

 

One thought on “Der kaukasische Kreidekreis

  1. Bodo Lettow Reply

    zur leeren Bühne ein paar Bemerkungen. eigentlich gab es ein sogar ziemlich grosses Bühnenbild in Form eines grossen Kegels oder so. Das wurde dann vom Regisseur kurz vor der Premiere als untauglich befunden und entsorgt. Kostenpunkt ca 200 000 Euro. Wenn das stimmen sollte wäre es unglaublich angesichts der Förderung der kleinen Bühnen, die damit lange spielen könnten.

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