Mit Dolores habt ihr nicht gerechnet

Das Studio Я kündigt ein „jüdisch-queeres Rache-Musical“ an. Autor/Regisseur Tucké Royale erwähnt in den Vorberichten Quentin Tarantino als eine Referenz des Abends.

Im Kopfkino rauscht sofort ein bunter Film ab: große Emotionen, schräge Songs, oszillierend auf dem schmalen Grat zwischen Glamour und Trash, herausgebrüllte Wut, viel Splatter-Ästhetik und Kunstblut. Kurz und knapp: „Roma Armee trifft Pulp Fiction“. Mit dieser Erwartungshaltung kamen wohl manche heute Abend zur Premiere von „Mit Dolores habt ihr nicht gerechnet“ in die kleine Studiobühne des Gorki Theaters.

Die kommenden zwei Stunden entwickelten sich deutlich anders: eine sehr minimalistische Ästhetik, die queerem Camp und Glitzer ganz bewusst ausweicht. Die Darsteller auf der Bühne sind demonstrativ in tristes Grau gehüllt. Auch die Maske, die Oscar Olivo in der Hauptrolle der jüdischen Revuetänzerin Dolores trägt, orientiert sich an klassischen, strengen Formen und meidet jeden Prunk. Vom grell-blauen Make-Up auf dem Plakat blieb nicht mal ein zarter Lidstrich.

Die eingestreuten, von der Live-Band begleiteten Songs sind die einzigen zaghaften Farbtupfer: ein Mix aus jiddischem Klezmer und Tango. An diesem Abend wurde die Handbremse ganz bewusst angezogen.

Die Handlung nimmt als Stationendrama ihren Lauf. Dolores, die an der Rampe eines KZs von ihrer Zwillingsschwester Ida getrennt wird, schlägt sich nach Berlin durch, wo sie mitten in den letzten Kriegsjahren im Wintergarten Varieté tanzt, das gerade das 25jährige Jubiläum seiner Wiedereröffnung feierte. Dort flirtet sie mit SS-Schergen und erschießt sie backstage. Der Stoff ist nicht nur offensichtlich von den „Inglorious Basterds“ inspiriert, sondern lehnt sich an die reale Biographie der Zwillinge Sylvin und Maria Rubinstein an. Nachdem sie 1942 im KZ ermordet worden war, schloss er sich dem Widerstand an und tarnte sich als Travestietänzer.

Der Abend ist voller gut recherchierter Anspielungen auf das Warschauer Ghetto, auf Vorkämpfer der queeren Emanzipation wie Magnus Hirschfeld oder auf verurteilte Kriegsverbrecher wie Erich Priebke.

Der Glamour und die extroviert an der Rampe mit großer Geste zelebrierten Emotionen werden bis zum Schluss verweigert. Mit einem nachdenklichen Monolog über den jüdischen Widerstand klingt dieser Abend noch leiser aus als er begann. „Mit Dolores habt ihr nicht gerechnet“ unterläuft die Erwartungen konsequent. Einige verließen das Studio sichtlich enttäuscht vorzeitig. Uninteressant war dieses von der Kulturstiftung des Bundes im Rahmen von „Queering Holocaust History“ unterstütze Projekt aber keineswegs.

Bild: Esra Rotthoff

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert