Für rasantes Genre-Kino ist die deutsche Filmbranche nicht gerade bekannt. Deshalb ist es umso erfreulicher, dass derzeit eine gelungene Produktion in einigen Programmkinos läuft.
In den Ruhrpott hat Damian John Harper, gebürtiger US-Amerikaner, den Roman „Fresh“ von Mark McKay verlegt. Statt der Brüder Archie und Sean aus dem englischen Provinzstädtchen Royston lernen wir die ungleichen Brüder Kai (Louis Hofmann) und Mirko (Franz Pätzold) aus Duisburg kennen, das in der Liste lebenswerter Städte stets ganz weit unten rangiert. Die Mutter starb früh, sie wuchsen beim Onkel (Sascha Geršak) auf und gerieten früh auf die schiefe Bahn.
Das gilt vor allem für den Älteren: der von Frank Castorfs Regie-Exzessen in München, Wien und als Gast derzeit in Dresden gestählte Franz Pätzold spielt Mirko als tickende Zeitbombe, stets kurz vor dem Ausrasten, es ist immer nur eine Frage der Zeit, bis er wieder in den Knast kommt. Rücksichtslos nimmt er sich, wonach ihm gerade ist, z.B. Ela (Pinar Ericin), die Partnerin eines Freundes. Vom kleinen Bruder erwartet er bedingungslosen Gehorsam, er spannt ihn regelmäßig für Kurierdienste ein.
Louis Hofmann spielt Kai als zartbesaiteten Jungen mit gewohnt scheuem Blick, der von einer bürgerlichen Existenz mit seiner Frau Ayşe (Canan Kir) und der kleinen Tochter träumt, aber immer wieder von Mirkos übergriffigen Besitzansprüchen eingeholt wird, die keine Widerrede dulden. Zwischen den beiden eskaliert es, als Mirko mal wieder aus dem Knast kommt und die beim kleinen Bruder deponierten 10.000 € fordert, die dieser aber großteils für eine Augen-OP der Tochter und Weihnachtsgeschenke ausgegeben hat.
Interessant an „Frisch“ ist der Erzählstil: der Plot wird von Kais innerer Stimme (Ruhrpott-Legende Ralf Richter aus dem Off) kommentiert. Gegenwart und Rückblenden gehen elegant ineinander über. Bis zum finalen Twist lässt Harper oft im Unklaren, was Erinnerungs-Splitter, Angsttraum und gelebte Gegenwart ist.
Sehenswert macht „Frisch“ außerdem, dass der Film stets kompromisslos Vollgas gibt. Das polarisiert natürlich das Publikum, Harpers Genre-Überraschungshit sticht mit klarer Handschrift aber definitiv aus dem üblichen hiesigen Filmschaffen heraus und zeichnet ein atmosphärisch dichtes, stimmiges Bild der Ruhrpott-Tristesse.
Nach der Premiere in der Sektion Neues Deutsches Kino vor einem Jahr beim Filmfest München startete „Frisch“ am 3. Juli 2025 in den Kinos. Als Koproduktion des ZDF-Formats Das kleine Fernsehspiel wird das Drama sicher auch bald auf dem mitternächtlichen TV-Sendeplatz zu sehen sein.
Bilder: © Leonhard Kairat / Port au Prince Pictures / Weydemann Bros