Überraschungshit des Literatur-Jahres 2019 war der essayistisch-autofiktionale Roman „Herkunft“ von Saša Stanišić: eine ebenso kluge wie witzige Spurensuche des Autors nach seinen Wurzeln, aufgewachsen in Višegrad, vor dem Bürgerkrieg im zerfallenden Jugoslawien mit der Mutter nach Heidelberg geflohen, nach Literaturstudium mittlerweile in Hamburg lebend.
Land auf, Land ab wurde der Text mehrfach von Theatern adaptiert, in Berlin wagte sich nun BE-Intendant Oliver Reese an den Stoff und beauftragte Stas Zhyrkov mit einer Inszenierung im Neuen Haus. Zhyrkov verbindet mit Stanišić die Fluchterfahrung: seit der russischen Vollinvasion der Ukaine lebt er im Berliner Exil und zeigte bereits mehrere Arbeiten am DT, an der Schaubühne und am Berliner Ensemble.
Die Strichfassung des Dramaturgen Johannes Nölting bleibt zwar nah an Struktur und Wortlaut der Roman-Vorlage, hat jedoch mit zwei Problemen zu kämpfen. Sie hetzt in etwas mehr als zwei Stunden mit enormer Geschwindigkeit durch die Roman-Vorlage. Statt Reflexionen und tastenden Abwägungen erleben wir auf der Theaterbühne ein vierköpfiges Ensemble, das vor allem in der ersten Hälfte fast ständig in hektischer, zielloser Bewegung ist. Hier tappt der Abend in eine selbstgestellte Falle: Da es sich um eine Vorlage handelt, die offenkundig nicht fürs Theater geschrieben wurde, waren sich Zhyrkov und sein Team sehr bewusst, dass ihre Adaption keinesfalls zu statisches Frontaltheater werden soll. Doch der Abend kippt in ein anderes Extrem: in unnötiger Hektik und ständiger Bewegung wie auf ADHS werden die Miniaturen heruntergerattert. Erst in der zweiten Hälfte traut sich der Abend mehr ruhige Momente und wird prompt deutlich besser.
Das zweite Problem ist, dass diese „Herkunft“-Inszenierung zwar häufig dem Wortlaut, aber nicht der Tonlage des Originals treu bleibt. Während Stanišić mit leisem Witz überzeugt, ist die Theater-Fassung oft eine Spur zu albern und drüber. Die gravierendste Fehlentscheidung war, die Rolle der Großmutter mit Peter Moltzen als schrullige Alte im Charleys Tante-Fummel zu besetzen. Statt der Trauer über das schrittweise Abgleiten in die Demenz, die das letzte Drittel des Romans bestimmt, erleben wir auf der Bühne eine Karikatur. Immerhin darf Moltzen auch für einen der wenigen nachdenklichen, stillen Momente sorgen: eine Stanišić-Passage über die Nostalgie einiger Jugoslawien-Veteranen ergänzt er durch eigene Gedanken zur untergegangenen DDR.
Der Applaus für „Herkunft“ blieb wegen der genannten Schwächen nach der Premiere am 13. November 2025 im Neuen Haus des Berliner Ensembles verhalten. Der Stoff ist zwar hochinteressant, gerade in Zeiten eines erstarkenden Chauvinismus und Populismus. Auf diesen Trend reagierte der Autor damals, in den zurückliegenden sechs Jahren haben sich Problemlagen, die er beschreibt, noch verschärft. Doch die Inszenierung rast zu sehr durch ihre Comedy-Version des Romans. Marina Galic, die das Alter ego des Autors spielt und zu Beginn der Spielzeit mit ihrem Mann Jens Harzer und ihrem Kollegen Sebastian Zimmler vom Hamburger Thalia Theater an den Schiffbauerdamm wechselte, hätte einen besseren Einstand verdient gehabt.
Bild: Gianmarco Bresadola