Sehr harsch war das Urteil der Berliner Kritik, als Thomas Ostermeiers und Maja Zades „Wildente“-Aktualisierung im September 2025 nach der Avignon-Premiere in Berlin kam. Eine seichte Telenovela sei der Abend, voller hohler Karikaturen. Besonders negativ fanden einige Rezensionen eine Passage, in der sich Marcel Kohler als Wahrheitsfanatiker Gregers Werle direkt ans Publikum wendet und fragt, ob und wann die Zuschauer ihre Partner betrogen hätten.
Diese Kritik nahm sich das Team offensichtlich zu Herzen und hat an der knapp dreistündigen Ibsen-Inszenierung gearbeitet. Die Publikumsbefragung im „Volksfeind“-Stil fehlte gestern Abend. Zu erleben war eine Inszenierung, die vergleichsweise behutsam mit der Klassiker-Vorlage umging. Die Rolle der Hedwig (Magdalena Lerner) ist bei Ostermeier/Zade weniger kindlich, sondern der Part einer politisch engagierten Teenagerin, sprachlich ist manches etwas flapsig und eindeutig 21. statt 19. Jahrhundert, aber der Kern bleibt erhalten: die Wucht, mit der hier eine Familie zugrunde geht, ist auch in dieser Ibsen-Bearbeitung spürbar.
Ostermeiers Stilmittel sind bekannt und bewährt: psychologisch-realistisches Spiel in markant ausgestatten Räumen, eine – im besten Fall soghafte – dramatische Zuspitzung mit viel Musik, leitmotivisch kommt diesmal „Noting else matters“ von Metallica zum Einsatz. Wummernd und dröhnend bricht hier das ganze Lügen-Konstrukt zusammen. Das ist sicher plakativ, aber wirkungsvoll.

Dem Abend wurde vorgeworfen, dass Ostermeier und seine Bühnenbildnerin Magda Willi die beiden Welten der Familien Werle und Ekdal zu überdeutlich gegeneinander ausspielen. Hier der edle Salon, dort die heruntergekommene Wohnung und der ungewaschene Zottel-Look von Hjalmar Ekdal (Stefan Stern). Hier wäre weniger Überzeichnung sicher mehr gewesen. Dass der Abend hier nicht in klassistische Klamotte kippt, ist den starken Schauspieler*innen zu danken. Hervorzuheben ist Marcel Kohler als steifer Wahrheits-Apostel, der wie ein strenger Pastor aus einem Ingmar Bergman-Film wirkt, und Magdalena Lermer, die es schafft, ihrer Hedwig eine stimmige Mischung aus zarter Zerbrechlichkeit und Aufmüpfigkeit zu verleihen. Auf dem Scherbenhaufen, den die anderen angerichtet haben, sieht auch sie wie die jüngere Hedwig aus dem Original keine Perspektive mehr und wählt den Suizid.
Bilder: Gianmarco Bresadola