Schon Tolstoi wusste in seiner „Anna Karenina“: Jede unglückliche Familie ist auf ihre ganz eigene Art unglücklich. Das dokumentiert auch Jim Jarmusch in seinem tragikomischen Triptychon, das überraschend in Venedig im September 2025 den Goldenen Löwen gewann.
Überraschend, denn trotz der geballten Star- und Promi-Power, die sich hier an unterschiedlichen Kaffeetischen versammelt, ist „Father Mother Sister Brother“ ein stiller, kleiner Film, der einfach nur drei lose verbundene Miniaturen aneinanderreiht und auf seine altmeisterliche Art auch fast etwas aus der Zeit gefallen scheint.
Aber gerade dieses Unaufgeregte und sich nicht um Moden oder Zeitgeist scherende macht den neuen Film von Jarmusch, der bald 73 Jahre alt wird und einer der Dinosaurier des US-Indie-Kinos ist, so interessant. Er hat den Mut, drei auf den ersten Blick unscheinbare Geschichten zu erzählen: zwei Mal erleben wir dysfunktionale Familien, die am Kaffeetisch zusammenkommen und sich so wenig zu sagen haben.

© Vague Notion, Photo: Yorck Le Seaux
Tom Waits spielt in der „Father“-Episode den in der Vergangenheit hängengebliebenen Zausel, der von seinen spießig-gutbürgerlichen Kindern (Adam Driver und Mayim Bialik) wie ein Relikt vergangener Tage belächelt wird. Ebenso schnell wie möglich suchen auch die Töchter (Cate Blanchett und Vicky Krieps) das Weite, wenn in der „Mother“-Episode Charlotte Rampling zum jährlichen Pflicht-Besuch an der Kaffeetafel in ihrem bildungsbürgerlichen Interieur lädt.

© Vague Notion, Photo: Carole Bethuel
Erst in der abschließenden „Sister Brother“-Episode gibt es tatsächliche menschliche Wärme und aufrichtige Bindung: nach dem Tod der Eltern schmiegen sich die Zwillinge (Indya Moore/Luka Sabbat) in der aufgelösten, leeren Wohnung aneinander.
„Father Mother Sister Brother“ lebt von den kleinen, beiläufigen Gesten, Blicken und Beobachtungen seines herausragenden Ensembles. Nach dem überraschenden Gewinn des Goldenen Löwen in Venedig tourte der Film über weitere Festivals (z.B. London, New York, Wien, Zürich), für das Hollywood-Establishment ist er aber nicht glamourös genug und bekam keine einzige Golden Globe-Nominierung.
Am 26. Februar 2026 bringt ihn Weltkino in die deutschen Kinos.
Vorschaubild: © Vague Notion, Photo: Frederick Elmes