Als Meta-Doku-Revue und Spiel im Spiel haben Autor Avishai Milstein und Regisseurin Sandra Strunz ihren Abend „Play Auerbach!“ angelegt. Erste Assoziation vieler Bildungsbürger mag Goethes „Faust“ und das historische Leipziger Gewölbe Auerbachs Keller sein. Doch dieser Abend ist einer fast vergessenen Persönlichkeit der Münchner Stadtgeschichte gewidmet, die nur Spezialisten ein Begriff ist.
Philipp Auerbach war jüdischer Unternehmer und Überlebender des KZ Auschwitz, der nach seiner Befreiung ab 1946 „bayerischer Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte“ war. In der Funktion half er mehr als 80.000 sogenannten „Displaced Persons“ bei ihrer geplanten Auswanderung, setzte sich für Wiedergutmachung und eine Renaissance des jüdischen Lebens nach dem Hoocaust ein. 1952 wurde er wegen Untreue verurteilt, die Hintergründe sind dubios, er nahm sich das Leben und wurde zwei Jahre später rehabilitiert, geriet aber fast völlig in Vergessenheit.
Dieser historischen Figur möchte eine Laienspielschar ein Denkmal setzen. Nach den Kürzungen wurden die Theater im allgemeinen und die Münchner Kammerspiele geschlossen, die wohlmeinende Antisemitismusbeauftragte Beate (Wiebke Puls) schart im Jahr 2045 einige mehr oder minder begabte Mitstreiter*innen um sich, die durch eine öffentliche Probe stolpern.
In diese Probe gerät plötzlich ein Profi-Schauspieler mit jüdischen Wurzeln, Rafael Kuhn (Stargast Samuel Finzi) hinein. Auf der Meta-Ebene ringen die Antisemitismusbeauftragte mit ihrem stets erhobenen Zeigefinger und der jüdische Schauspieler um die Deutungshoheit über das schwierige Terrain der deutsch-jüdischen Geschichte und Gegenwart. Doch damit noch nicht genug Meta: zwei prägende Theatermacher*innen vergangener Epochen der Münchner Kammerspiele, Therese Giehse (Annika Neugart) und Otto Falckenberg (Johanna Eiworth), geistern als Wiedergänger*innen ebenfalls durch das Spiel im Spiel. Natürlich darf aber auch die Wissensvermittlung zur historischen Figur Auerbach nicht zu kurz kommen.
Ganz schön viel für pausenlose 135 Minuten. Dementsprechend ächzt das Revue-Konstrukt phasenweise unter all den Bällen, die auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig jongliert werden müssen. Begleitet wird die Revue von den Live-Musikern Rainer Süßmilch und Philipp Haagen, die in ihren Jazz- und Swing-Arrangements die harten Brüche und das Raue betonen. An diesem Punkt unterscheidet sich die Meta-Revue der Münchner Kammerspiele am deutlichsten von der „East Side Story“, einem „Jewsical“-Projekt, das wenige Tage nach der Münchner Premiere am Berliner Gorki-Theater rauskam. Bei Lena Brasch, Juri Sternburg und Paul Eisenach perlt die Musik gefällig, auch sie loten aus, wie ein deutsch-jüdisches Leben nach dem Holocaust aussehen könnte, greifen dabei jedoch auf erfundene Biographien zurück. Schwerer konsumierbar sind die Klänge der Münchner Revue, hier ist der Zivilisationsbruch der NS-Gewaltherrschaft und des fabrikmäßigen Massenmords auch in den scheinbar heiteren Momenten immer präsent und hörbar.
„Play Auerbach! Eine Münchner Erinnerungsrevue“ wurde am 4. Dezember 2025 im Schauspielhaus der Münchner Kammerspiele uraufgeführt.
Bild: Julian Baumann