Kurz vor dem Eintritt ins Rentenalter führt ihr 99. Fall die Münchner TV-Kommissare Franz Leitmayr und Ivo Batic (Udo Wachtveitl und Miroslav Nemec) ans Bayerische Staatsschauspiel. Über den Marstall betreten sie das Residenztheater, wo die Intendantin mit dem sprechenden Namen Freya von Kaltenberg (Anna Stieblich) ein strenges Regiment führt, das sie mit den Wattebausch-Floskeln umhüllt, man sei doch eine große Familie.
Bei den Proben zu einer fiktiven Vorstellung zu Anton Tschechows „Die Möwe“, die von Regisseur Andreas Kleinert und Kameramann Johann Feindt so elegant in Szene gesetzt sind, dass es ein Jammer ist, dass diese Inszenierung nicht tatsächlich auf der Bühne zu erleben ist, stirbt eine junge Schauspielerin an einer Überdosis.
Den besonders prestigeträchtigen Sendeplatz am Abend des 2. Weihnachts-Feiertags hat die ARD für diesen klassischen Whodunit im Agatha Christie-Stil reserviert. Staunend und kopfschüttelnd tauchen Franz und Ivo in die für sie fremde Welt des Theaters ein. Der TV-Krimi „Das Verlangen“ ist natürlich eine Hommage ans Theater, arbeitet aber krimi-genretypisch auch all die in den vergangenen Jahren diskutierten Misstände an den Bühnen sehr luzide heraus.
Ein Geflecht aus toxischen Beziehungen und Abhängigkeitsverhältnissen tut sich vor den Augen der Ermittler und des Couch-Publikums auf. Klar gezeichnet sind die Prototypen von der sich rätselhaft gebenden Diva Gina Ruhland als Arkadina (Schaubühnen-Star Ursina Lardi) über den deutliche Züge von Ersan Mondtag tragenden Theater-Regisseur Akim Birol (Thiemo Strutzenberger, vom Residenztheater im Sommer 2024 ans Wiener Burgtheater gewechselt) bis zum narzisstischen Schönling, der sein Umfeld manipuliert, in der Rolle des Kostja (Lukas T. Sperber, der nach dem Studium an der HfS Ernst Busch und der tollen „Dantons Tod“-Inszenierung seines Jahrgangs von 2016 derzeit vor allem in TV-Produktionen mitwirkt).
Das Feiertags-TV-Publikum bekommt eine routiniert in Szene gesetzte Krimi-Kost mit schönen Bildern aus der Theaterwelt. Das Residenztheater mit seinen Tradition atmenden Gemäuern und seinen kafkaesk verwinkelten Gängen bietet dafür eine hervorragende Kulisse. Als Schmankerl für Insider und regelmäßige Resi-Besucher gibt es auch Auftritte bekannter Ensemble-Mitglieder in Nebenrollen: Vassilissa Reznikoff, die derzeit als Sally Bowles die „Cabaret“-Inszenierung trägt, spielt die Souffleuse, Lukas Rüppel ist einer der Bühnenarbeiter und Liliane Amuat, die während der Feiertage als Pippi Langstrumpf im Familienstück zu erleben war, spielt hier die Schneiderin und Garderobiere, die Kostüme zusammennähen muss und mit dem Opfer eng befreundet war.
Der „Tatort: Das Verlangen“ wurde bereits am 26. August 2025 beim Festival des deutschen Films in Ludwigshafen vorgestellt, seine TV-Premiere hatte er am 26. Dezember 2025 und bleibt ein Jahr in der Mediathek abrufbar.
Bild: BR/Claussen+Putz Filmproduktion GmbH/Walter Wehner“ (S2). BR/Bildmanagement