Dämonen (Berlin)

Der jungen Frau im Sommerkleid wird dann doch etwas mulmig zumute, als sich ihr fünf seltsame Gestalten, ganz in schwarz gekleidet, mit zwei Kameramännern im Schlepptau in der U 5 zwischen Alexanderplatz und Schillingstraße nähern. Erst versucht sie, weiter durch den Feed auf ihrem Display  zu scrollen, sucht dann aber doch Sicherheitsabstand.

Die sieben Personen starteten im Gorki Theater und kehren auch nach 2 Stunden 45 Minuten dorthin zurück. Kinda Hmeidan und Tim Freudensprung aus dem Ensemble, Linda Vaher und Ernst Busch-Studentin Flavia Lefèvre (beide schon in anderen Produktionen zu Gast) und Meret Mundwiler werden vom eingespielten Schweizer Live-Kamera-Duo Robin Nidecker und Jelïn Nichele begleitet. Beide waren schon am Theater Basel dabei, als Sebastian Nübling und sein Co-Regisseur Boris Nikitin in „Dämonen“ sieben Spieler durch die abendliche/nächtliche Stadt schickten.

„Dämonen“ erntete begeisterte Kritiken und schaffte es im vergangenen Jahr sogar auf die Shortlist des Theatertreffens, so dass Shermin Langhoff das Team einlud, eine „Dämonen (Berlin)“-Version zu produzieren, die jedoch zum Ende dieser und zu Beginn der nächsten Spielzeit nur sechs Mal zu sehen ist.

Hmeidan kommt auf die Bühne, erklärt kurz das Prozerede und dass alle Bilder, die wir in den kommenden Stunden mit ganz wenigen Unterbrechungen/Störungen live auf der Leinwand im Theater sehen werden, mit 15 Sekunden Verzögerung bei uns ankommen. Zunächst stumm hastet das Quintett durch die verwinkelten Gorki-Gänge, macht sich im Special Agents-Look auf in die Stadt, Richtung Touri-Hotspots. Im Gegensatz zu der jungen Frau, der sie allzu dicht auf die Pelle rückten, nehmen die meisten Berliner Passanten kaum Notiz von den sonderbaren Vögeln, die an ihnen vorbei flanieren.

Tim Freudensprung, Flavia Lefèvre, Meret Mundwiler, Linda Vaher, Kinan Hmeidan im U-Bahnhof

Geschichten von Verfall und Tod werden skizziert. Um innere Dämonen und Krankenhausaufenthalte geht es, um Fälle von Vermissten. Realität und Fiktion mischen sich, immer wieder tauchen die tatsächlichen Vornamen der Performer in diesen Schilderungen auf. Eine kleine Irritation schleicht sich ein, als sie von der Sterbehilfeorganisation erzählen, die angeblich in einem Haus ihren Sitz hat, an dem sie vorbei schlendern: in Deutschland ist diese Praxis verboten, in der Schweiz anerkannt. Eine kleine Hommage ans Original? Ein Überbleibsel aus der Schweizer Produktion?

Mit diesen Fremdkörpern spielt der Abend. Herausragend ist die Virtuosität, mit der Nidecker/Nichelle ihre Kameras tanzen lassen, die Perspektiven wechseln und im U-Bahnhof Museumsinsel ein Ballett der am Boden liegenden Spieler inszenieren, die auf dem Kopf zu stehen scheinen. Von dort geht es durch die historische Mitte Berlins, in die zwei Diktaturen eingeschrieben sind: zwischen Prachtbauten und Brachen, zum in der Euphorie geplanten, nie lebendig gewordenen Sony Center, zum sanierungsbedingt geschlossenen DDR-Premieren-Kino International und dem trubeligen Alexanderplatz legen sie viele Kilometer zurück, meist zu Fuß, selten in U-Bahn oder Sammeltaxi. Die Anzüge weichen Clownskostümen, auf den letzten Metern zurück ins Gorki Theater geht die Blaskapelle „Hastetöne“ voran.

Langer Applaus heißt das Ensemble dieses ungewöhnlichen Live-Theater-Film-Projekts willkommen zurück: Schlaglichter auf ein sehr diverses Themen-Potpourri bot dieser Abend. Mal unterhaltsam, mal düster, mal etwas redundant, immer hervorragend gefilmt. Vieles wird nur angerissen, die für die Berliner Version geplante Verbindung zwischen den inneren Dämonen der Figuren und den historischen Dämonen, die im Stadtbild zu spüren sind, schimmert ab und zu zwischen den Zeilen und Szenen durch. Hier hätte das ambitionierte Projekt jedoch noch mehr Potenzial gehabt.

Bilder: © Ute Langkafel MAIFOTO

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