Wenn ChatGPT einen Abend für Bundeskanzlerin a.D. Angela Merkel schreiben müsste, wäre das Ergebnis wohl ziemlich nah an dieser Premiere: In kompakten knapp 100 Minuten bekommt sie ganz, ganz viel von ihrem Lieblingsschauspieler Ulrich Matthes zu sehen. Er fehlt in keiner der sieben Szenen, in dem ihm wechselnde Stichwortgeber an die Seite gestellt werden. Dazu kommt noch eine große Prise Naturwissenschaft und Computer-Technologie, die den ansonsten zu dünnsuppigen Stücktext über den Literaturbetrieb etwas bekömmlicher machen.
Matthes spielt den fiktiven, frisch mit dem Nobelpreis gekürten Starautor Jacob McNeal: im Original ein breitbeinig auftretendes, toxisches Ekelpaket, dessen Weg Leichen pflastern. Besser als zum feingliedrigen Star des Deutschen Theaters Berlin passt diese Rolle jedoch zu Joachim Meyerhoff, der im März in Jan Bosses deutschsprachiger Erstaufführung am Wiener Burgtheater auf der Bühne stand.
Mit viel Name-Dropping von Harvey Weinstein bis Ronald Reagan reicherte Ayad Akhtar sein Konversationsstück für den Broadway an, das in Daniel Kehlmanns Übersetzung nach Regie-Arbeiten in Wien und vor zwei Wochen in Düsseldorf auch in Berlin inszeniert wird. Auf zündende Pointen wartet man vergeblich, die Passagen zur KI sind kaum mehr als ein paar eingestreute Zutaten eines Stück-Texts, dem Würze und Tiefe fehlen.
Hin und wieder werden Fragen angerissen, was ein Kunstwerk ausmache und ob die Maschinen, wenn man sie gut genug füttere, nicht auch ein Meisterwerk schaffen könnten, wie es Shakespeare mit dem „Lear“ gelang. Bekanntlich bediente er sich bei „Macbeth“ oder „Hamlet“ auch schon recht frei an Vorlagen aus der Mythologie, die er remixte und weiterentwickelte.
Das Beste an dieser Saison-Eröffnungsinszenierung von András Dömötör sind die Videos von Zsombor Czeglédi, die das KI-Thema kreativ umspielen und mit der Livekamera von Veniamin Itskovich interagieren. Während die Hauptfigur im fortgeschrittenen Stadium der Leberzirrhose dem Tod entgegentaumelt, machen McNeal Halluzinationen als Folge von Medikamenten-Nebenwirkungen zu schaffen. Als sich bei den Morph-Effekten die Gesichter des Ensembles überlagern, tut sich kurz eine Tür auf, die über ein starbesetztes „well-made-play“ hinausweist.
Nach einer dadaistischen Sprachspielerei mit dem Theater RambaZamba in der Kammer bleibt die Auftaktinszenierung auf der großen Bühne in der Komfortzone stecken, die sich zu sehr auf die Zugkraft des Stars verlässt, der als narzisstischer Stinkstiefel-Autor nicht ganz typgerecht besetzt ist, und dies mit ein paar Häppchen zum Trendthema KI garniert.
„Der Fall McNeal“ hatte am 26. September 2025 auf der Bühne des Deutschen Theaters Berlin Premiere.
Bilder: Thomas Aurin