Ein wahrer Kern liegt diesem überbordenden Musiktheater-Abend zu Grunde. 1941 brach tatsächlich das Frachtschiff „Capitaine Paul Lemerle“ von Marseille nach Martinique auf, an Bord eine Reihe prominenter Exilanten wie André Breton oder Anna Seghers.
Letztere spielt in der „The Great Yes, The Great No“ von William Kentridge keine Rolle, Breton jedoch durchaus. Er ist eine von vielen Geistesgrößen, die hinter einer Pappmaske von einem Ensemble-Mitglied verkörpert wird. Und als einer der bekanntesten Vertreter des Surrealismus ist er auch ein spiritus rector dieser 90 Minuten-Odyssee.
Denn Kentridge phantasiert in die reale Bootsfahrt eine Reihe von längst Verstorbenen wie Napoleons Gattin Josephine Bonaparte, Zeitgenossen des 2. Weltkriegs oder Nachgeborenen wie Frantz Fanon hinein, die ihren je ganz eigenen Blick zu Entwurzelung, Flucht, Eurozentrismus und Postkolonialismus haben.
Als Stichwortgeber verbindet Charon (Hamilton Dhlamini), der Fährmann in den Hades aus der griechischen Mythologie, die übertitelten Schnipsel. Vor aufwändigen Animationen, die Europäer als bornierte Typen mit Köpfen aus Kaffeekannen und Wählscheiben-Telefonen abkanzeln, feiern die historischen Figuren die Négritude-Bewegung. Die Bewegung ist kreisförmig, Fragment reiht sich an Fragment: ein Puzzle für Literatur- und Kulturwissenschaftler, die ihre Freude daran haben können, die Versatzstücke ihren jeweiligen Autoren zuzuordnen.
Herzstück dieser internationalen Festival-Produktion, die im Sommer 2024 in Aix-en-Provénce Premiere hatte, im Burgtheater bei ImPulsTanz gastierte, als Koproduktion im Juni 2025 ein zentrales Event der Ruhrfeststpiele Recklinghausen war und an diesem Wochenende die dritte „Performing Arts Season“ der Berliner Festspiele eröffnete, ist der siebenköpfige Frauenchor. In ihren afrikanischen Heimatsprachen isiZulu, isiXhosa, Setsawana, siSwati und Xitsonga sind sie immer wieder Inseln der Hoffnung in dem Meer aus Schnipseln. Sie verkörpern die Überlebenden dieser Flucht, ihre Stimmen zur Komposition von Co-Regisseur Nhlanhla Mahlangu sind das Highlight dieses „The Great Yes, The Great No“-Abends.
Bild: Stella Olivier