Die kahle Sängerin

Einen Klassiker des absurden Theaters hat Anita Vulesica ausgegraben und in der vergangenen Spielzeizt am Schauspielhaus Graz inszeniert. Im Eröffnungsreigen der DT-Intendanz von Iris Laufenberg ist „Die kahle Sängerin“ eine der wenigen Übernahmen, die sie aus der Steiermark nach Berlin mitbringt.

Vulesica ist hier natürlich keine Unbekannte: 2011-2017 war sie Ensemble-Mitglied an Uli Khuons DT und glänzte vor allem als Komödiantin, z.B. in Die Affäre Rue de Lourcine. Seitdem hat sie sich mehr auf ihre Professur am Mozarteum in Salzburg und eigene Regie-Arbeiten verlegt.

Das Handwerkliche stimmt auch in dieser „Die kahle Sängerin“-Inszenierung, die sehr auf Körperlichkeit setzt und den Slapstick ins Zentrum rückt. Dem Abend ist aber doch sehr deutlich anzumerken, dass Eugène Ionesco die Vorlage bereits 1950 geschrieben hat.

Auf dem Bild: Evamaria Salcher, Frieder Langenberger, Beatrice Frey

Sehr angestaubt wirkt dieser Versuch, die Fassaden des Bürgertums und die scheiternden Kommunikationsversuche der gehobenen Mittelschicht vorzuführen, die beim Abendessen von zwei Paaren nicht über Phrasen hinauskommen. Das aufgekratzte Premierenpublikum kichert schon bei den ersten kleinen Gesten, wild entschlossen, sich heute zu amüsieren. Dieses typisch nervös-künstliche Lachen ebbt zum Glück etwas ab, steigert sich aber am Ende zu donnerndem Applaus, da Vulesica die Stimmung mit einem Kunstgriff noch mal angeheizt hat.

Sie lässt das Stück knapp anderthalb Stunden so routiniert abschnurren, dass es problemlos auch in die Spielpläne von Ionesco-Fan Claus Peymann am Wiener Burgtheater oder Berliner Ensemble gepasst hätte. Auf der Zielgerade weicht sie an zwei entscheidenden Punkten von der Vorlage ab: Lars Lehmann, einer der Bühnentechniker am DT, schlüpft in die Rolle der titelgebenden „kahlen Sängerin“, die bei Ionesco ebenso ungreifbar und abwesend bleibt wie Godot bei Beckett. Zum Schluss reiht sich das ganze Ensemble an Mikrofonen an der Rampe auf, beschwört die Liebe und lädt das Publikum zum Mitsing-Kanon ein.

Der Jubel kann nicht überdecken, dass „Die kahle Sängerin“ eine recht altbackene Inszenierung ist. Sie hatte am 18. November 2022 am Schauspielhaus Graz Premiere und wurde mit der Berlin-Premiere am 30. September 2023 in der Kammer in das Repertoire des Deutschen Theaters Berlin übernommen. Für ihre kleine Rolle als Dienstmädchen Mary wurde Katrija Lehmann für den österreichischen Theaterpreis Nestroy in der Kategorie der besten Nebendarstellerin nominiert, konnte sich aber nicht gegen Dorothee Hartinger in der Burgtheater-Inszenierung „Raub der Sabinerinnen“ durchsetzen.

Bilder: © Lex Karelly/Schauspielhaus Graz

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