Ein augenzwinkernd-versponnenes Spiel mit deutschen Mythen und Film-Genres treibt Julian Radlmaier in seinem dritten Spielfilm „Sehnsucht in Sangerhausen“. Schon die erste Szene beginnt mit einer bewussten Irritation: Schlagermusik zum Bierzelt-Mitschunkeln dröhnt von der Kino-Leinwand herab. In den nächsten Minuten springt Radlmeier (Regie, Drehbuch, Montage) in die Ästhetik der TV-Weihnachtsmärchen und lässt eine nostalgische Stimmung aufkommen. Novalis und seine Sehnsucht nach der blauen Blume sind die Referenz des ersten Kapitels.
Gerade als es richtig kitschig zu werden droht, kommt ein scharfer Schnitt und es geht als Sozialdrama im strukturschwachen Südharz weiter. Ursula (Clara Schwinning) ist in ihrer Ehe frustriert, hält sich mit mehreren prekären Dienstleistungs-Job über Wasser und erlebt einige kurze Glücksmomente in einem Flirt mit der Musikerin Zulima (Henriette Confurius als eines der wenigen bekannteren Gesichter im Cast). Jäh wacht sie aus dem Traum aus.
Typisch für die Erzählweise von Radlmaier sind schräge Nebenfiguren wie zwei FKK-Wanderer oder der mongolische Touristenführer Sung-Nam (Kyung-Taek Lie), der lange vergeblich auf Interessenten wartet, die in seinen klapprigen VW-Bus steigen. Wenn der dünne Plot allzu sehr stockt, gibt es immer wieder schöne Schmunzel-Momente, die das Publikum bei Laune halten.
Trotz der Brechstangen-Manier, mit der Radlmaier am Ende zumindest einige seiner Motive und Figuren aus unterschiedlichen Jahrhunderten, darunter z.B. auch die exiliranische Influencerin Neda (Maral Keshavarz) zusammenbringt, macht der Film über 90 Minuten Spaß, dürfte aber kaum länger sein. In all seiner Verträumtheit und Versponnenheit erzählt der Film auch immer wieder von deutscher Gegenwart: AfD-Parolen dominieren das Milieu, aus dem sich Ursula lösen möchte, die Stimmen von Boris Pistorius und Friedrich Merz poltern aus dem TV bzw. Autoradio und fordern „Kriegstüchtigkeit“ oder das Ende einer vermeintlichen Luxus-Zahnbehandlung für Migranten ein. Diese ganz realen Schnipsel sind die Folie, vor der Radlmaier seine unterhaltsame, von BKM, Medienboard Berlin-Brandenburg und WDR koproduzierte Zeitreise unternimmt.
Seine ersten beiden Filme „Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“ und „Blutsauger“ liefen in Berlinale-Nebenreihen. „Sehnsucht in Sangerhausen“ hatte in Locarno im August 2025 Premiere, dem Festival in Europa, das am ehesten das Verschrobene und Widerständige feiert. Er lief dort im internationalen Wettbewerb, ging aber leer aus. Im Oktober 2025 wurde Kirill Krasovski mit dem Producers Award Deutsches Kino beim Filmfest Hamburg ausgezeichnet. Am 27. November 2025 brachte Grandfilm „Sehnsucht in Sangerhausen“ in die Programmkinos.
Bild: © Grandfilm, Blue Monticola Film