Die düsteren Themen ziehen sich durch diese Spielzeit, die sich nun langsam dem Ende zuneigt. Einsamkeit und Bindungsunfähigkeit wurden besonders oft auf Berliner Bühnen thematisiert, damit starteten sowohl Gorki als auch Schaubühne schon im September. Yael Ronen machte aus der Erotic Crisis der modernen Großstädter ein bissig-unterhaltsames Nummernkabarett, wesentlich düsterer geht es bei Falk Richters Never Forever in der Schaubühne am Lehniner Platz zu.
Seine Zeitdiagnose ist alles andere als neu, sondern in zahllosen Essays, Diskussionsrunden, Theaterabenden und Küchentischgesprächen abgehandelt: zwischen neoliberalem Leistungsdruck, multioptionaler Beliebigkeit und digitaler Beschleunigung droht der Einzelne sich selbst und seine Bindungen zu verlieren. Beispielhaft stehen dafür die Therapeutin, die sich nicht mehr von ihren Patientinnen abgrenzen kann und den Schmerz nicht erträgt, dass ihre demente Mutter sie nicht mehr erkennt. Der Mann, der vor Wut rast, dass seine Frau ihn mit einem Jüngeren verlassen hat und er sein Kind kaum noch sehen darf. Der Digital Native, der auf der Suche nach immer extremeren und sadistischeren Videos durchs Netz surft und jeden Kontakt zur Außenwelt verloren hat. Schließlich der Uni-Dozent, der darüber verzweifelt ist, dass sich seine Studentinnen und Studenten während der Vorlesung lieber mit ihren Smartphones befassen und nur mit einem Ohr hinhören, was er ihnen vermitteln möchte.
„Düster-narzisstisch ist die Grundstimmung“, schrieb Rüdiger Schaper im Tagesspiegel. Sie wird nur in einer Szene ironisch durchbrochen, die in ihrer pointierten Zuspitzung sehr gut zu Yael Ronen passen würde: Jule Böwe, die momentan Regine Zimmermanns Part übernimmt, tritt als Diva auf die Bühne und ordnet an, dass ihr Bäume gebracht werden, damit romantische Stimmung für eine große Liebesszene aufkommt. Es reicht aber nur für mickrige Plastikbäume, von denen einer dem anderen gleicht. Und der seit sechs Wochen sehnsüchtig erwartete Bühnenpartner, von dem Frau Böwe sehr klare Vorstellungen hat, erscheint auch diesmal nicht. Sie beklagt sich bitter und bekommt zu hören: diese Szene sei gestrichen. Stattdessen meldet sich ihr Kollege Tilmann Strauß via Smartphone bei ihr: Du, ich bin grade superbusy und so müde. Minutenlang bügelt er jeden Versuch von ihr ab, ihm näher zu kommen: nein, sie könnten sich nicht treffen. Als sie von sich erzählen will, unterbricht er sie mit dem nächsten Redeschwall. wie tief er momentan in spannenden Projekten stecke: sehr müde, sehr krass und natürlich sehr, sehr, sehr busy.
Diese unterhaltsame Comedy-Einlage lockert einen knapp zweistündigen Abend auf, der sich seinen Themen mit großem Ernst widmet. Die stärksten Szenen kommen gegen Ende, z.B. der Dialog zwischen Florian Bilbao, einem der Tänzer aus Nir de Volffs Total Brutal-Ensemble, und Ilse Ritter, längst eine lebende Legende, der Thomas Bernhard mit Ritter, Dene, Voss ein Denkmal gesetzt hat: ein Gespräch zwischen den Generationen über das Älterwerden und den Tod.
Es wird still im Publikum, Never forever entfaltet einen schmerzhaften, bedrückenden Sog und ist einer der seltenen Fälle, wo aus Tanz und Sprechtheater eine gelungene Symbiose entsteht. Dazu tragen alle Beteiligten bei: die Mitglieder des Schaubühnen-Ensembles, die Tänzerinnen und Tänzer von Total Brutal, die mit eindrucksvoller Körperbeherrschung von Panikattacken und Verzweiflung erzählen, und – last, but not least – natürlich auch Ilse Ritter, die anders als in Kresniks Die 120 Tage von Sodom an der Volksbühne eine ernstzunehmende Rolle bekommt und nicht nur als Pausenfüllerin missbraucht wird.
Bilder: Arno Declair
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