Für Filme, die für den Wettbewerb zu klein, aber für das Forum nicht sperrig/avantgardistisch genug oder zu groß sind, hat Carlo Chatrian bei seinem Amtantritt vor vier Jahren die Sektion Encounters geschaffen. Was nach seinem Aus als Festival-Co-Chef aus diesem Segment wird, steht in den Sternen.
2024 schaffte es Eva Trobisch mit ihrem zweiten Film „Ivo“ in diese Reihe. Der Film folgt seiner Titelfigur (Minna Wündrich aus dem Ensemble des Schauspielhauses Düsseldorf) durch ihren Alltag als Palliativpflegerin: für jeden Patienten hat sie ein gutes Wort, oft eine Umarmung, mit Solveigh (Pia Hierzegger), die nicht nur Patientin, sondern auch Freundin ist, kuschelt sie sogar. In Zeiten des Pflegenotstands und des von den Kassen streng vorgegebenen Takts wirkt eine so persönliche, intensive Betreuung der Todkranken während ihrer letzten Tage wie ein wünschenswerter Idealzustajnd aus dem Paralleluniversum. Wie viel hat Ivos Alltag mit dem realen deutschen Gesundheitssystem zu tun? An dem Punkt dürfte Matthias Glasners drastischer, sich in Exkrementen suhlender Wettbewerbs-Film „Sterben“ näher an der Wirklichkeit sein.
Der Film zeigt aber auch Ivos kleine Auszeiten vom fordernden Beruf, die Flirts, die schönen Momente und spart die Einsamkeit und den Stress mit der pubertierenden Tochter nicht aus. Ethisch grenzwertig ist die Affäre, die Ivo mit Franz (Ex-Schaubühnen-Spieler Lukas Turtur) in Hotelzimmern pflegt, während Solveigh mit ALS in ihrer Matratzengruft liegt und von Tag zu Tag mehr Selbständigkeit verliert.
Diese Milieustudie erzählt Trobisch (Regie und Drehbuch) sehr konzentriert und betont undramatisch. Eindringlicher war ihr preisgekröntes Debüt „Alles ist gut“ (2018), in dem Hauptdarstellerin Aenne Schwarz darum rang, wie sie auf einen Übergriff reagieren soll.
Nach der Berlinale-Premiere soll der von der ZDF-Reihe „Das kleine Fernsehspiel“ koproduzierte Film „Ivo“ am 20. Juni 2024 in den Kinos starten. Auf dem Festival wurde er mit dem Heiner Carow-Preis ausgezeichnet.
Bild: Adrian Campean
Monika
Ich arbeite bei einer SAPV als Krankenschwester. Wir dürfen uns bei unseren Patienten so viel Zeit lassen, wie die Patienten sie benötigen. Bei einem klassischen Pflegedienst ist das leider anders. Die Arbeit der SAPV Pflegekraft wird im Film sehr gut dargestellt.
Konrad Kögler
Herzlichen Dank für diesen Bericht aus der Praxis