Das Deutsche Theater Berlin versuchte im Advent, aus den Gefühlsverwirrungen im Kapitalismus komödiantische Funken zu schlagen.
„Der Herzerlfresser“: Zombiejagd und Gefühlschaos in der österreichischen Provinz
Im ersten Fall ist dies noch halbwegs geglückt: „Der Herzerlfresser“ ist ein unterhaltsamer Abend in der Box, auf der kleinsten Bühne des traditionsreichen Hauses.
Der dritte Text von Ferdinand Schmalz (hinter diesem Pseudonym verbirgt sich ein junger Autor aus Graz) ist eine Groteske aus der österreichischen Provinz. Die Figuren sind stark überzeichnet, aber bei weitem nicht so boshaft und skandalträchtig wie bei seinem Landsmann Werner Schwab. Statt deftiger Gesellschaftskritik stehen bei Schmalz die Sprachverliebtheit und ein Konfettiregen aus Metaphern und Wortspielen im Mittelpunkt. „Herz“ und „Fuß“ ziehen sich als Leitmotive durch die Dialoge und Aperçus dieses Abends.
Regisseur Ronny Jakubaschk entschied sich dafür, das Ganze als Farce zu inszenieren: knallrot und giftgrün sind die dominierenden Farben. Grell geschminkte Schauspieler, die Karikaturen alpenländischer Trachtenmode tragen, stolpern durch die Jagd nach dem „Herzerlfresser“, einem Frauenmörder, der seinen Opfern das Herz herausreißt. Elias Arens spielt die Titelfigur als Mischung aus Zombie und Vampir, mit blutigen Lefzen und mahlendem Kiefer, ständig auf der Suche nach dem nächsten Opfer.
Die Jagd nach dem Serienmörder gerät zwischendurch immer wieder in den Hintergrund, da die Figuren vor allem mit ihrem Gefühlchaos zu kämpfen haben. Amourös geht es hier kreuz und quer durcheinander, Missverständnisse lassen die Angebetete zunächst unerreichbar scheinen, bevor die Paare doch noch zueinander finden. Das Gefühlschaos wird noch dadurch verschärft, dass die Figuren auch noch ständig damit befasst sind, ihre Chancen auf dem kapitalistischen Markt zu optimieren: die Fußpflegerin Irené (Isabel Schosnig, nach längerer Zeit zurück am Deutschen Theater) träumt vom Beauty-Salon im neuen Einkaufszentrum. Bürgermeister Rudi (Harald Baumgartner) ist der Prototyp eines mit Schärpe durch die Gegend stolzierenden Provinzpolitikers, der davon träumt, Investoren anzulocken und auch ein Stück vom Kuchen abzubekommen, sich dabei aber maßlos überschätzt.
Eigentliche Hauptfigur des Abends ist aber der Gangsterer Andi: Thorsten Hierse, der häufig ernste Rollen spielt, beweist sein komödiantisches Talent und bringt die verschiedenen Facetten seiner Figur wandlungsfähig zum Leuchten: mal dominiert die Schmierigkeit des Kleinkriminellen; mal seine sensible Seite, da er Fauna Florentina (Lorna Ishema, neu im DT-Ensemble) umwirbt; mal wirft er sich als Lockvogel in Frauenkleider und schlägt aus der Travestie-Nummer Funken.
„Der Herzerlfresser“ bietet knapp achtzig Minuten kurzweilige Unterhaltung. Jakubaschk vertraute seinem Regiekonzept aber anscheinend doch nicht ganz: anstatt seine Groteske als temporeiche Farce zu spielen, lässt er die Schauspieler immer wieder in stilisierte, zeitlupenartige Bewegungen verfallen, die dem ansonsten munteren Abend einiges an Schwung nehmen.
Ibsens „Nora“, neu eingerichtet von Petras/Pucher: hier passt nichts zusammen
Weniger überzeugend war die „Nora“-Premiere auf der Großen Bühne des Deutschen Theaters. Es begann schon mit einer falschen Weichenstellung: statt wie bei seiner gelungenen „Hedda Gabler“-Inszenierung (2013) auf die Kraft von Henrik Ibsens Vorlage zu vertrauen, lässt der Regisseur sein Ensemble die „neu eingerichtete“ Stückfassung sprechen, die Armin Petras zu verantworten hat.
Die armen Schauspieler müssen sich mit einem verquasten Mix aus Anglizismen, Alltags-Banalitäten und Slang abquälen, der eine Zumutung ist. Da können die Schauspieler noch so oft bei jeder unpassenden Gelegenheit sich gegenseitig „Sorry“ zurufen: Hier gibt es nichts mehr zu entschuldigen. In 70er Jahre-Outfits sagen sie brav ihren Text auf.
Im Zentrum dieser „Nora“-Inszenierung steht nicht – wie meist üblich – die Emanzipation der Frau aus dem klassischen Rollenmuster der Bankiersgattin, die für das Repräsentieren auf Empfängen, ein schönes Zuhause und die Erziehung der Kinder zuständig ist und aus diesem „Puppenheim“ ausbricht.
Der Ansatz, dem Petras/Pucher stattdessen folgen, wäre durchaus interessant: ihnen geht es um die Frage, wie Beziehungen gelingen können, wenn Liebe, Sex und Emotion im Kapitalismus zur Ware verkommen und jeder Einzelne in ständiger Angst davor, den Arbeitsplatz zu verlieren und auf dem Abstellgleis zu landen, zur Selbstoptimierung gezwungen ist. Diese Gedanken, die der Dramaturg Claus Caesar in seiner Einführung darlegte, wären ein exzellenter Stoff für spannende Theater-Auseinandersetzungen. Nur leider fehlt der Vorlage von Armin Petras, der nach seinem Zerwürfnis mit Klaus Wowereit als Intendant vom Berliner Gorki Theater ans Stuttgarter Schauspiel wechselte, jedes Format: zu viel Geblubber, zu viel Gefasel, wie sich die Figuren auch gegenseitig vorwerfen.
Das Elend wird noch dadurch verschlimmert, dass auf Videoleinwand im Hintergrund dieselben Schauspieler noch mal zu sehen sind: diesmal sprechen sie den Ibsen-Klassiker, wie man ihn kennt. Auch die Mode entspricht dem 19. Jahrhundert. Das Kleid von Katrin Wichmann als „Nora“ erinnert an Hanna Schygullas Auftritt als „Effi Briest“ in der Fassbinder-Verfilmung (1974).
Die Verdopplung der Handlung auf zwei verschiedenen Zeitebenen wäre eine diskussionswürdige Idee. Es wird nur nicht klar, was das Regieteam damit bezwecken will: an diesem Abend passt einfach nichts zueinander.
Auf einige bekannte Pucher-Stilmittel ist dennoch auch bei dieser missglückten Inszenierung Verlass: die phantasievollen Kostüme von Annabelle Witt und opulenten Roben, die an diesem Abend oft gewechselt und von den Schauspielern spazieren geführt werden, sind aufwändig gemacht und ein echter Blickfang. Auch die schönen Popsongs, die bei Pucher nie fehlen dürfen und diesmal vor allem von Katrin Wichmann und Tabea Bettin gesungen werden, sorgen kurzzeitig für willkommene Abwechslung, die wenigstens für einige Augenblicke die Tristesse der schwer erträglichen Dialoge durchbrechen.
Für diese Gesangseinlagen gab es mehrfach verdienten Szenenapplaus. Ebenso berechtigt waren aber die lauten Buhrufe, als das Regieteam nach achtzig Minuten verschenkter Lebenszeit auf die Bühne kam.
„7 Pleasures“: dänischer Performance-Star Mette Ingvartsen und ein Knäuel nackter Körper zu Gast im HAU
Eine lange Schlange bildete sich vor der Kasse des HAU 2: viele hofften, mit Wartenummer noch eine Karte für das „7 Pleasures“-Gastspiel von Mette Ingvartsen zu ergattern. Die Erwartungen waren groß. Gewaltig war auch der theoretische Ballast, der sich in Ingvartsens Programmheft-Interview um ihre neue Arbeit rankt.
Klischeebilder von Nacktheit und Sexualität sollten dekonstruiert werden. Die übersexualisierte Ästhetik der Werbung sollte aufgespießt werden. Hedonismus und Sinnlichkeit, sowohl zwischen Menschen als auch Gegenständen, sollten ausgelotet werden. Die Auseinandersetzung mit dem Körper sollte auch unter politischen Aspekten verhandelt werden. Langer Rede, kurzer Sinn: es geht auch hier um die Gefühle und das Zusammenleben im Kapitalismus.
Platzt diese Theorieblase? Steht Ingvartsen, die als einer der Stars der europäischen Performance-Szene gehandelt wird und 2017 gemeinsam mit Chris Dercon die Volksbühne umkrempeln soll, mit ihrem Regiekonzept am Ende ebenso nackt da wie ihre Performerinnen und Tänzer während dieses 90minütigen Abends?
Zunächst passiert erst mal nichts. Bässe wummern im Hintergrund, aber noch genug Zeit, sich mit der Sitznachbarin über den neuen Pollesch auszutauschen – bis sich mitten im Publikum die Darsteller des Abends nach und nach von ihren Plätzen erheben. Sie ziehen sich langsam aus, zwängen sich durch die engen Reihen des HAU und schreiten langsam auf die Bühne, wo sie ein großes, hin und her wogendes Knäuel bilden.
Katrin Bettina Müller hat die perfekt choreographierte Ästhetik dieser Eröffnungsszene in der „taz“ sehr gut beschrieben: „Wie das fließt und vorwärts gleitet, lautlos dahin schmilzt, sich träge ausbreitet, in träumerischer Langsamkeit Hindernisse überrollt und schließlich zum Stillstand kommt.“
Nach etwa einer halben Stunde löst sich das Knäuel der Performance-Künstler Schritt für Schritt auf. Das zweite Drittel fällt leider deutlich ab. Ekstatische Zuckungen, dazu umkreisen sie eine Yucca-Palme, einen Schreibtisch oder eine Couch. Das Urteil von Michaela Schlagenwerth, die sich in der „Berliner Zeitung“ an eine Mischung aus „Sport, Seelenhygiene und Kindergeburtstag“ erinnert fühlte, fällt vernichtend aus. Aber in der Tat hinterlässt dieser Mittelteil viele Fragezeichen und wirkt an manchen Stellen redundant.
Im letzten Drittel findet der Abend zurück in die Spur. Einige Akteure ziehen sich an, andere bleiben nackt: der Fokus richtet sich auf Machtgefälle und Abhängigkeiten in den Beziehungen. Der gesamte Abend kommt ohne Worte aus, diese starken Schluss-Szenen sprechen aber eine deutliche Sprache und regen zum Nachdenken an.
Fazit: Streckenweise bleibt Ingvartsen hinter ihrem Anspruch zurück. Zwischendurch gelingt es ihr aber doch, einige der Themen, um die es ihr geht, deutlich zu markieren.
Höchstwahrscheinlich wird der Andrang auch heute Abend vor der letzten der drei Berliner Aufführungen wieder enorm sein. Ebenso wahrscheinlich wird die Auseinandersetzung über Ingvartsen und ihre Performance-Kunst in den kommenden Jahren weiter hitzig geführt werden. Die Meinungen, was ihre Arbeiten taugen, gingen in den Berliner Feuilletons zwischen „taz“ und „Berliner Zeitung“ weit auseinander. Und ganz sicher wird auch weiter über den Plan von Müller/Renner/Dercon gestritten werden, der Volksbühne nach der Ära Castorf ein neues Profil zu geben und Ingvartsen dabei eine zentrale Rolle zu geben.
Bildrechte: Marc Coudrais
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