Mathieu Kassovitz sorgte 1995 in Frankreich mit einem düsteren Schwarz – Weiß – Film für Furore: Sein Drama La Haine räumte damals mehrere Preise, z.B. auch auf dem renommierten Festival in Cannes, ab. Publikum und Kritik waren beeindruckt vom schonungslosen und realistischen Blick auf die sozialen Brennpunkte der Pariser Vorstädte, die sogenannten Banlieues. Auch in Deutschland wurde der Film unter dem Titel Hass als ein herausragender politischer Film der 1990er Jahre wahrgenommen.
Die Handlung über die Gewaltspirale zwischen den jungen Migranten Abdel, Hubert, Vinz sowie Said und den Sondereinheiten der Polizei beruht auf wahren Begebenheiten. Genau zehn Jahre danach eskalierte die Situation nach dem selben Muster erneut: Wochenlang brannten im Herbst 2005 die Barrikaden in den französischen Vorstädten. Viele Kommentatoren fühlten sich damals in den Film Hass zurückversetzt und lobten seinen glasklaren Blick auf die Konflikte, die dort bis heute schwelen. Oft genügt nur ein Funke, bis sie wieder aufflammen.
Damals nutzte Nicolas Sarkozy diese Unruhen, um sich als starker Mann und Innenminister zu profilieren und Punkte für seine Präsidentschaftskandidatur zu sammeln. Statt hübscher Fotos an Carla Brunis Seite setzte er auf markige Worte. Die Stadt müsse mit dem Kärcher gereinigt werden. Während sich in Deutschland damals gerade die Große Koalition formierte, redeten sich Leitartikler und Feuilletonisten die Köpfe heiß, ob diese Zustände auch hierzulande z.B. in Kreuzberg oder Neukölln drohen.
Die beiden jungen Dramatiker Tamer Yiğit und Branka Prlić griffen diesen Gedanken auf und bearbeiteten den berühmten Film für die Bühne des Kreuzberger Theaters Hebbel am Ufer 2 (HAU 2). Das Grundgerüst der Handlung behielten sie bei, verlegten sie aber in ihren Kiez Kreuzberg 36, so dass in den Dialogen plötzlich die Dealer aus dem Görlitzer Park auftauchen. Außerdem sorgen Volkan T. und Dissput mit rohen Heavy Metal – Klängen für den passenden Soundtrack zu diesem brisanten Stoff.
Wie die Autoren in mehreren Interviews klarmachten, sehen sie aus ihren Eindrücken vor Ort die Wut wachsen. Dabei schießen sie in ihrer Analyse aber wohl doch sehr über das Ziel hinaus, wenn sie sich wie im DeutschlandRadio äußern: "Deutschland aktuell 2010, das ist Hass, das ist, was wir irgendwie auf der Bühne haben."
Mehrere Kritiken der Premiere merkten auch zurecht an, dass das Stück an einigen Stellen noch unfertig wirkt und keine klare Linie hat: Die Wut der Hauptdarsteller wird in manchen Passagen sehr ernst genommen und von den jungen Schauspielern authentisch vermittelt. Nur kurz darauf wird das Ganze aber ironisch gebrochen: Der Fitness- und Männlichkeitskult mancher junger Machos arabischer oder türkischer Herkunft wird ins Lächerliche gezogen, wenn die Schauspieler in eine Ecke stürmen, eifrig Gewichte stemmen und dabei ein verzweifeltes "Ich muss 100 Kilo wiegen" brüllen.
Leider ist dieser Abend wegen solcher Schwächen nicht ganz gelungen. Auch wenn nicht jede Inszenierung ein großer Wurf ist, ist das Konzept des Hebbel am Ufer mit seinen spannenden Produktionen, die einen präzisen Blick auf die soziale Realität werfen, eine großere Bereicherung für die Theaterlandschaft und seit der Gründung 2003 eine feste Instanz im Kulturleben Berlins.