Was hat uns „Kabale und Liebe“ heute zu sagen?

Die Erwartungen vor der jüngsten Premiere am Deutschen Theater Berlin waren hoch: Ulrich Matthes ließ bereits im Herbst bei seinem Auftritt in Harald Schmidts Show durchblicken, dass er im bürgerlichen Trauerspiel Kabale und Liebe den skrupellosen Präsidenten von Walter spielen wird. Außerdem wurde im Programmheft und im Einführungsgespräch des Dramaturgen betont, dass sich der Regisseur Stephan Kimmig zur Vorbereitung intensiv mit aktuellen soziologischen Diskursen auseinandergesetzt hat.

Schiller schrieb Kabale und Liebe mit nur 23 Jahren als wütende Abrechnung mit der Willkür der Fürsten. Ein Stück, das den Finger tief in die Wunden der damaligen Zeit legte und genau fünf Jahre vor der Französischen Revolution die Kritikpunkte des selbstbewusster werdenden Bürgertums klar benannte: Die höfischen Intrigen, die Verschwendungssucht, die Mätressen und auch der Verkauf von Soldaten an verbündete Adelshäuser werden in diesem Drama unverblümt angesprochen. Schiller hatte nichts mehr zu verlieren: Er war bereits auf der Flucht, nachdem ihn der Herzog von Mannheim nach der Uraufführung der Räuber mit Schreibverbot und Arrest bestraft hatte.

Die Überlegung, ob sich aus der damaligen politischen Situation interessante Bezüge zu heutigen Debatten knüpfen lassen, klingt auf den ersten Blick spannend. Dem Regisseur Stephan Kimmig gelang mit Maria Stuart 2007 am Hamburger Thalia-Theater bereits eine kluge Inszenierung eines anderen Schiller-Klassikers, die geschickt mit Andeutungen und Motiven der Gegenwart spielte und auch die Jury des Berliner Theatertreffens überzeugte.

Im Programmheft wird deutlich, dass sich Kimmig in die aktuellen Debatten der deutschen Soziologie einlas: Die Forschungen des Darmstädter Professors Michael Hartmann über eine Elite, die sich aus einem überschaubaren Milieu des gehobenen und Großbürgertums rekrutiert, und der die Frage nach ihrer Bindung an die Restgesellschaft stellt, werden ebenso fleißig vorgestellt wie die Thesen von Heinz Bude über das abgehängte Prekariat und die Ausgeschlossenen. Alles nicht ganz taufrisch, alles strittig, aber diskussionswürdig.

Leider war an diesem Theaterabend von diesen theoretischen Vorarbeiten kaum etwas zu spüren. Die Schauspieler gaben Schillers Drama in all seinem Pathos sehr konventionell. Der einzige auffällige Regie-Kunstgriff war, dass an allen möglichen und unmöglichen Stellen des Bühnenbildes Türen und Steigeisen angebracht waren. So demonstrierten Ole Lagerpusch als unglücklich liebender Ferdinand und Alexander Khuon als Sekretär Wurm ihre artistischen Fähigkeiten, als sie sich immer wieder an den Wänden hochhangelten. Ihrem Schicksal konnten sie aber ebenso wenig entkommen wie Fliegen, die beim Versuch, an einer Glaswand hochzukrabbeln, immer wieder abgleiten.

Es war sehr verwunderlich, dass Kimmig und sein Team das Pathos des vorrevolutionären späten 18. Jahrhunderts auch nicht in der Schluss-Szene brachen. Was damals mit brachialer Gewalt auf reale Missstände hinwies, schrammt heute am Rande der Lächerlichkeit vorbei und wirkt nur, wenn man sich den historischen Kontext vor Augen führt.

Da Kimmigs Anspruch, das Stück auf aktuelle Bezüge abzuklopfen, an diesem Abend nicht mehr erkennbar war, gab es deutliche Buhrufe für seine Regie. An der schauspielerischen Leistung von Ulrich Matthes und seinen Kollegen änderte dies nichts, die überwiegend mit freundlichem Applaus honoriert wurde.

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