Das internationale literaturfestival berlin erlebt in diesem Jahr seine 12. Auflage. Im Mittelpunkt der beiden Eröffnungstage stand Liao Yiwu, Schriftsteller, Musiker, Dissident, Exilant und aktueller Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels. Im Saal des Deutschen Theaters sollte Liao Yiwu zusammen mit seinem Freund, dem kanadischen Sinologen Michael Day, über sein Leben, das Massaker am Platz des Himmlischen Friedens und die Repression in China sprechen. Am Tag zuvor provozierte er die Machthaber in Peking mit seiner Eröffnungsrede, in der er Freiheit für Tibet forderte.
In der relativen Freiheit der 1980er Jahre genoss Liao Yiwu das Leben als einer der bekanntesten, jungen, wilden Schriftsteller Chinas. Erste Probleme mit der Staatsmacht bekam er zwar schon 1987, aber der entscheidende Einschnitt in seinem Leben war die blutige Niederschlagung der Proteste im Juni 1989. Er schrieb das Gedicht Massaker und nahm es gemeinsam mit Michael Day auf Tonband auf. Die Kopien verbreiteten sich schnell im Untergrund, fielen aber auch den Behörden in die Hände und führten zu einer vierjährigen Haftstrafe des Dichters. Die zermürbenden Bedingungen im Gefängnis und Arbeitslager schildert Liao Yiwu in seinem neuen Buch Ein Lied und hundert Lieder, das in den Feuilletons glänzende Kritiken erhielt.
International bekannt wurde Liao Yiwu mit seinem 2007 veröffentlichten Buch Fräulein Hallo und der Bauernkaiser, mit dem er die Führung der Kommunistischen Partei bis aufs Blut reizte. Die Interviews und Reportagen zeichnen ein schonungsloses Bild Chinas von unten, Falun Gong-Anhänger kommen ebenso zu Wort wie Prostituierte und Klomänner. Über mehrere Jahre zog sich ein Konflikt mit den chinesischen Behörden: Zensur und Ausreiseverbote wie vor der Frankfurter Buchmesse 2009 waren an der Tagesordnung, Lockerungen wie die Erlaubnis seines Auftritts beim internationalen literaturfestival berlin 2010 blieben Ausnahmen. Im vergangenen Jahr gelang ihm die Flucht nach Deutschland, derzeit lebt er in Berlin.
Liao Yiwu und Michael Day hätten zum Titel der Veranstaltung Lyrik zwischen Gefängnismauern und die Freiheit der Liebe einiges zu erzählen gehabt. Leider wurden sie und ihre Dolmetscherin von der Moderatorin Silke Behl schon nach einer knappen halben Stunde von der Bühne komplimentiert, so dass sie sich für die nächste halbe Stunde dem Lyriker Gerald Schorsch widmen konnte, der zu DDR-Zeiten ebenfalls im Gefängnis saß.
Das Gespräch mit Yiwu und Day blieb in der kurzen Zeit fast zwangsläufig an der Oberfläche und hatte mit der deutsch-chinesisch-englischen Sprachverwirrung der Protagonisten auf der Bühne zu kämpfen. So blieb von dieser Veranstaltung leider ein negativer Eindruck zurück. Sie bot nicht mehr als einen ersten Eindruck des Autors, der immerhin noch eine kurze Passage vom Schluss seines neuen Buches im chinesischen Original vortragen durfte. Auch wenn kaum jemand im Raum die Sprache so gut beherrschte, dass er den Text verstand, wurde in Liao Yiwus emotionalem Vortrag der Schmerz der Gefängnisfolter durch Wärter und Mithäftlinge spürbar.