Das Berlinale-Rücktritts-Virus

Husten, triefende Nasen und Augenringe gehören zur Berlinale wie die langen Schlangen vor den Ticketschaltern. Aber auf der Berlinale grassiert noch ein anderes Virus:

2011 war die Berlinale gerade erst zur Hälfte vorbei, da veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung ihre Plagiatsvorwürfe gegen einen gewissen Karl-Theodor zu Guttenberg. Am Freitag vor dem Abschluss-Wochenende versuchte der ehemalige Superstar des Kabinetts mit einem Slapstick-kinoreifen Statement voller Durchhalteparolen vor der Kulisse des Bendler-Blocks sein Amt zu retten und dem Festival die Show zu stehlen. Er schleppte sich noch über den Publikums-Sonntag, obwohl ständig neue Rücktrittsgerüchte über die Ticker der Agenturen jagten. Knapp zwei Wochen später war der glamouröse Baron Geschichte, in einer billigen Star Trek-Parodie erklärte er sich am Ende seiner Kräfte. Die biedere Wissenschaftsministerin Anette Schavan konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

2012 erlebte das Publikum die Berlinale als willkommene Erlösung vom Talkshow-Einerlei, mit dem IllnerPlasbergJauchMaischbergerBeckmann der Rentner-Anstalten ARD und ZDF die Causa Wulff als Endlosschleife verhandelten. Die cineastische Weltreise doch wieder jäh unterbrochen: Wulff kämpfte wochen-, monatelang tapfer um sein Amt, wähnte sich schon über den Berg, aber er hatte sich nicht gegen das Berlinale-Virus immunisiert. Am Donnerstag vor dem Berlinale-Schlusswochenende verkündete die Staatsanwaltschaft eines ansonsten vor sich hin dämmernden Städtchens an der Leine, das als Inbegriff der Langeweile gilt, dass jetzt Schluss mit lustig sei. Am nächsten Tag reisten Christian Wulff, Bettina und das Bobbycar aus Schloß Bellevue ab. IllnerPlasbergJauchMaischbergerBeckmann sendeten hyperventilierend gegen das Festival an und riefen Gauck zum neuen Opa der Nation aus.

2013 war das Berlinale-Virus besonders aggressiv. Der Winter schien nicht enden zu wollen, die Abwehrkräfte waren besonders schwach. Schon am Eröffnungswochenende raffte das Berlinale-Rücktritts-Virus Anette Schavan dahin. Mutti hatte ihr ins Gewissen geredet, jetzt wird sie mit einem Botschafterinnenposten am Heiligen Stuhl abgespeist. Aber auch Rom ist nicht sicher vor dem Virus: Am Montag, an dem der typische Berlinale-Besucher den Film-Kater der Überdosis des Eröffnungswochenendes auskuriert, erwischte das Berlinale-Virus auch Joseph Ratzinger, der keine Lust mehr hatte, als Benedikt XIV. angesprochen zu werden.

Merkels GroKo hatte nach dieser Vorgeschichte sicher schon ein mulmiges Gefühl. Es kam, wie es kommen musste. Am Eröffnungswochenende erreichte uns die dürre Mitteilung, dass Sebastian Edathy, Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses in der letzten Legislaturperiode, sein Mandat niederlegt, drei Tage später stand die Staatsanwaltschaft vor seiner Tür. Am Freitag, als das Festival auf die Zielgerade ging, erwischte es Hans-Peter Friedrich, der sich tapfer als Ritter von der traurigen Gestalt durch durch die NSA-Affäre gequält hatte und nun eigentlich noch als Landwirtschaftsminister einige Weinköniginnen küssen und Grüne Wochen eröffnen wollte. Aber Friedrich hatte die Rechnung bekanntlich ohne das Berlinale-Rücktritts-Virus gemacht…

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