Bastian Krafts Schernikau-Collage am DT „Die Schönheit von Ost-Berlin“: behutsame Annäherung an eine traurige Biographie

Die GDL stellte ihren Streik zwar rechtzeitig vor den großen Mauerfall-Jubiäums-Feierlichkeiten ein. Am Abend des 9. November ist aber dennoch kaum ein Durchkommen Richtung Brandenburger Tor und Friedrichstraße. Die politischen Eliten zelebrieren ihr großes, zeitgeschichtliches Event, Geschiebe und Gedränge auf allen Bahnsteigen, überfüllte S-Bahnen voller neugieriger Schaulustiger.

Wenige 100 Meter vom Großaufgebot aus Politprominenz und Opernstars setzt das Deutsche Theater Berlin einen markanten Akzent gegen den Mainstream der heutigen Feierstimmung. Die Intendanz legte die B-Premiere von Bastian Krafts Die Schönheit von Ost-Berlin auf dieses symbolträchtige Datum.

Schon der Titel macht stutzig, dies gilt erst recht, wenn man sich näher ansieht, wer im Mittelpunkt dieser Text-Collage steht: Ronald M. Schernikau, der am 1. September 1989 gegen den Strom des Zeitgeistes schwamm. Der Eiserne Vorhang hatte in Ungarn seine ersten Löcher bekommen, eine Flüchtlingswelle strömte in die Prager Botschaft, das Neue Forum und die SDP begannen sich in jenen Tagen zu formieren. Schernikau, der Zeit seines Lebens ein Außenseiter und Avantgardist gewesen war, beantragte ausgerechnet in dieser Phase – auch ermuntert vom Schriftsteller-Kollegen und Mentor Peter Hacks – die Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik und zog in deren Hauptstadt, genauer gesagt in den Bezirk Hellersdorf.

Regisseur Bastian Kraft, 1980 im württembergischen Göppingen geboren, als Schernikau gerade aus der kleinstädtischen Enge von Lehrte bei Hannover in die anarchische Aufbruchstimmung der selbstbewussten neuen sozialen Bewegungen der Insel West-Berlin flüchtete, setzt dem Schriftsteller, Aktivisten und Schlagersänger Ronald M. Schernikau mit diesem Abend ein facettenreiches Denkmal.

Behutsam entfaltet er die Stationen von Schernikaus kurzem Leben: die Rolle der Hauptfigur teilt Kraft – ähnlich wie schon den Part der Lady Gaga/Claire Zachanassian in Dürrenmatts Besuch der alten Dame – auf vier Akteure auf: Thorsten Hierse (in Frauenkleidern), Bernd Moss, Elias Arens und Wiebke Mollenhauer. Schernikaus Mutter Ellen, die bis zuletzt eine prägende Bezugs-Person für Schernikau war, verkörpert Margit Bendokat. Die schnoddrige Trotzigkeit einer Frau, die gegen alle Widerstände ihren Weg geht und doch zwischen den Stühlen sitzt, ist Margit Bendokat wie auf den Leib geschneidert. Wie Dramaturg John von Düffel in der Einführung berichtete, war Ellen Schernikau auch persönlich bei der Premiere am 7. November und von der Inszenierung ihrer Familiengeschichte durchaus angetan.

Halbwegs linear, aber mit Rückblenden erzählt Kraft die Biographie von Ronald und Ellen Schernikau: Die Magedburger Krankenschwester ist überzeugte SED-Genossin, während ihr Mann von Beginn an mit dem Sozialismus fremdelt und mit dubiosen Geschäften häufig im Westen unterwegs ist. Durch den Mauerbau 1961 wird die junge Familie getrennt, Ellen Schernikau lässt sich – zunächst widerstrebend – überreden, mit dem kleinen Ronald im Kofferraum eines Diplomaten-Wagens über die Trasnit-Autobahn bei Helmstedt nach Niedersachsen zu flüchten. Mutter und Sohn fassen jedoch in der neuen Umgebung nie Fuß. Bei Behördengängen beharrt die Genossin darauf, dass sie nur aus privaten Gründen in die Bundesrepublik gekommen sei und wird dementsprechend kritisch beäugt, auch ihr Sohn tritt früh in die DKP und nach seinem Umzug nach West-Berlin in die SEW ein. Das erhoffte Familienidyll bleibt in der norddeutschen Tiefebene aus: der Vater lebt längst mit einer anderen Frau zusammen und hat mit ihr zwei Kinder.

Ronald Schernikau beginnt schon als Gymnasiast zu schreiben, engagiert sich als Schülersprecher, ist jedoch doppelter Außenseiter: als Flüchtlingskind und als Schwuler. In einer kurzen Szene steht ein Schulverweis nach einem Flirt mit seinem Mitschüler Leif zur Diskussion. Sobald er das Abitur in der Tasche hat, geht Schernikau nach West-Berlin, wird einer der Aktivisten der Schwulen-Bewegung, die ab 1979 zu den ersten Christopher Street Days auf dem Kudamm mobilisierte und ihre politischen Magazine und Manifeste veröffentlichte. Ihn reizt aber auch der Glamour schwuler Subkultur: sein Traum ist es, Schlagersänger zu werden. 1987 führte er mit der Gruppe Ladies Neid das kolportagehafte, selbst verfasste Drama Schönheit im SchwuZ in der Hasenheide auf. Dieses Schauspiel über die unattraktive Tochter eines Waffenexporteurs, die sich mit dem schmutzigen Geld ihres Vaters eine Schönheits-Operation machen lässt, wird auch als Stück im Stück aufgeführt – als grelle Farce und doppelte Hommage an den alternativen Zeitgeist der Subkultur in Kreuzberg, Neukölln und Schöneberg jener Jahre und offensichtlich auch an die Video-Ästhetik von Frank Castorf. Sie sind klar als Imitation von Castorfs Regie-Stil zu erkennen, den wir seit mehr als zwei Jahrzehnten an der Volksbühne erleben, mittlerweile aber nur noch als Zitat seiner selbst, wie die Verrisse zu Castorfs Premiere von Kaputt am Rosa-Luxemburg-Platz an diesem Wochenende kritisieren.

Schernikau fremdelt mehr und mehr mit dem westdeutschen Gesellschaftsmodell. Das Publikum bekommt Original-Schernikau-Zitate wie Wer die Buntheit des Westens will, wird die Verzweiflung des Westens bekommen. oder Der Kapitalismus hatte nur eine Chance: so zu tun, als sei er keiner. Er würde den Leuten mit dem Stundenlohn erzählen müssen, sie seien Herren ihrer selbst. Das hat geklappt, herzlichen Glückwunsch. an den Kopf geknallt. 1986 wechselt er von der FU Berlin an das Institut für Literatur Johannes R. Becher in Leipzig, die endgültige Übersiedlung in die DDR im Spätsommer 1989 erscheint dann als letzter Schritt nur konsequent.

Den Abend des Mauerfalls verbrachte Schernikau mit seinem Partner an seinem Lieblingstheater: in den Kammerspielen des Deutschen Theaters stand Dario Fos Offene Zweierbeziehung auf dem Spielplan. Von den Folgen seiner HIV-Infektion gezeichnet starb Schernikau mit nur 31 Jahren am 20. Oktober 1991. Kurz vor seinem Tod konnte er noch die Textcollage Legende vollenden.

Bastian Kraft gelang ein spannendes Porträt der schillernden Persönlichkeit Ronald M. Schernikau, dessen Facettenreichtum seine beiden sehr unterschiedlichen Idole dokumentieren: die intellektuelle, hinter Zigarrenqualm hervorraunende Kassandra Heiner Müller und das Hollywood-Sex-Symbol Marilyn Monroe. Die Aufspaltung der Hauptrolle auf vier Schauspielerinnen/Schauspieler erscheint deshalb als gelungener Kunstgriff des Regisseurs, der hier noch besser passt als im Besuch der alten Dame.

Schönheit von Ost-Berlin ist eine behutsame Annäherung an ein trauriges Leben. Vor allem macht dieser Abend des jungen Regisseurs, der seine Hauptfigur nie persönlich kennenlernte, neugierig, das Buch Der letzte Kommunist: Das traumhafte Leben des Ronald M. Schernikau zu lesen, das 2009 im Aufbau Verlag erschien und viel Lob erhielt. Matthias Frings erinnert sich darin an seinen Weggefährten aus ihrer gemeinsamen Zeit in der West-Berliner Schwulenbewegung.

Die Schönheit von Ost-Berlin. Eine Schernikau-Collage von Bastian Kraft. Ca. 1 h 45 Minuten. – Premiere: 7. November 2014

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