Eröffnung der 9. „Around the world in 14 films“-Tour: Andrey Zvyagintsevs Epos „Leviathan“ wühlt im Korruptionssumpf

Der Andrang bei der Eröffnung der 9. cineastischen Weltreise Around the world in 14 films war derart groß, dass Festival-Direktor Bernhard Karl erst die Schlange an der Kasse abwartete und eine halbe Stunde später als geplant auf die Bühne des Kinos Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz kam. Sichtlich euphorisch wegen des Publikumsinteresses fand er in seiner Eröffnungsrede fast alles „extrem“: einige Filme „extrem lang“, die Schauspieler „extrem toll“, seine Freude über die prominenten Filmpaten „extrem groß“. Aber ohne diese Begeisterungsfähigkeit für Filmkunst wäre es wohl auch gar nicht möglich, Jahr für Jahr mit den begrenzten finanziellen Mitteln und umso größerer Energie dieses Festival in der ersten Advents-Woche aus dem Boden zu stampfen. Immerhin konnte in diesem Jahr Frank-Walter Steinmeier als Schirmherr und das Auswärtiger Amt als weiterer Hauptsponsor gewonnen werden.

Als Eröffnungsfilm hatten Bernhard Karl und sein Team Andrey Zvyangintsevs Leviathan ausgewählt, der im sehr stark besetzten Wettbewerb in Cannes 2014 für das Beste Drehbuch ausgezeichnet wurde. Der russische Regisseur machte sich 2003 mit seinem Debüt The Return/Die Rückkehr schlagartig bekannt und brachte gleich den Goldenen Löwen aus Venedig mit nach Hause. Nach zwei weniger beachteten Werken taucht er mit Leviathan tief in ein Geflecht mehrer mythologischer, philosophischer und literarischer Stoffe ein.

In diesem Werk, das voller Anspielungen steckt, die man beim ersten Sehen kaum alle erkennen und einordnen kann, verknüpft er den staatsphilosophischen Klassiker Leviathan von Thomas Hobbes mit dem biblischen Hiob, Kleists Michael Kohlhaas und einem Zeitungsbericht über eine wahre Geschichte aus den USA. Den 141 Minuten hätte eine stärkere Verdichtung jedoch gut getan, in einigen langatmigen Passagen schleppt sich Leviathan recht zäh dahin.

Überzeugend sind die dramatischen Momente der Konfrontation zwischen Kolja und dem übergewichtigen, versoffenen Bürgermeister, der sich als Provinzfürst irgendwo in den russischen Weiten aufspielt und für sich das Recht des Stärkeren in Anspruch nimmt. Als es der Bürgermeister auf Koljas Grundstück abgesehen hat und ihn enteignen möchte, vollzieht sich ein für unsere Augen surrealer Gerichtsprozess. Regisseur Zvyagintsev stellte jedoch im Film-Nachgespräch mit Ulrich Matthes klar, dass es sich bei dem Auftritt der Richterin um eine realistische Beschreibung russischer Zustände handelte.

Putins Kulturmininsterium bewilligte Fördergelder für den Film, aber man kann gut nachvollziehen, dass sich der zuständige Minister nicht sonderlich erfreut zeigte, als er das fertige Werk zum ersten Mal sah: zu deutlich ist die scharfe Kritik an der mangelnden Rechtsstaatlichkeit, an der Korruption und an der zu engen Allianz der politischen Macht im Kreml mit der orthodoxen Kirche.

Unter dem Strich war Leviathan ein ansprechender Auftakt für die kommenden zehn Tage. Ein echter Glücksgriff war die Patenschaft von Ulrich Matthes. In früheren Jahren absolvierten die prominenten Paten, die jeweils einen Film des Festivals begleiten, teilweise nur sehr oberflächliche Pflicht-Kurzauftritte. Der renommierte Schauspieler aus dem Ensemble des Deutschen Theaters hob sich davon sehr positiv ab: Seinen Fragen im Nachgespräch war deutlich anzumerken, dass er den Film vorab zwei Mal gesehen und sich intensiv mit dem Werk des Regisseurs befasst hatte. Diese 45 Minuten waren ein Gewinn für das Publikum.

Leviathan von Andrey Zvyangitsev. – Russland, 2014. – Kinostart für Frühjahr/Sommer 2015 geplant

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