Pollesch/von Lowtzow an der Volksbühne: drei Schauspieler, ein Orca-Wal und viele Diskurs-Schnipsel

Grimms Märchen, Faust, Die Bibel: darunter macht es René Pollesch in seiner neuesten Arbeit an seinem Stammhaus, der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, nicht. Diese Referenz-Werke dreht er in seiner ersten Zusammenarbeit mit dem Tocotronic-Gitarristen und Sänger Dirk von Lowtzow gemeinsam mit seinen postmodernen Lieblingstheoretikern, bei denen er sich wieder reichlich bedient, durch den großen Zitate-Fleisch-Wolf.

Die Diskurs-Schnipsel legt Pollesch bewährten Fachkräften in den Mund: dem exzellenten Trio Lilith Stangenberg, Franz Beil und Martin Wuttke. Worum geht es in den knapp zwei Stunden? Um die Liebe, um das erloschene Begehren für den Ex-Partner, um eine neue Urgeschichte, um eine neue Genesis, um das Geschäftsmodell von Google. Um Gentrifzierung, die im Titel Von einem, der auszog, weil er sich die Miete nicht mehr leisten konnte mit dem Zaunpfahl winkte, geht es zwar nur am Rande ganz kurz. Aber die treuen Anhänger müssen sich keine Sorgen machen: wo Pollesch drauf steht, ist auch diesmal wieder Pollesch drin.

Lilith Stangenberg seufzt, dass sie ihrem phantasmatischem Objekt zu nahe gekommen sei. Franz Beil (im glitzernden Raumfahrer-Anzug) und Martin Wuttke (zunächst auch im Space-Look, dann im Amphibienkostüm) lassen sich auf abendfüllende Dialoge mit ihrer Kollegin ein, wie dieser Realitätsverlust passieren konnte und äußern zwischendurch auch mal besorgt die Frage, ob sie „komplett einen an der Waffel habe“.

Der Dialog wird nicht nur ironisch gebrochen, sondern auch mehrfach unterbrochen: von der opulenten Musik des Filmorchesters Babelsberg, die mal Wagner parodiert, mal Hollywood-Filmmusik imitiert, und vom Rundfunk-Kinderchor Berlin am Georg-Friedrich-Händel-Gymnasium, die Kill your Darlings!-artig hinter Lilith Stangenberg her im Kreis laufen.

Dafür, dass sich auch dieser Abend nicht nur selbstreferentiell im Kreis dreht, sorgt der Orca-Wal, der nach einer knappen halben Stunde von der Bühnendecke heruntergelassen wird. Dieser Blickfang dient den drei Schauspielern als Zufluchtsort, Garderobe und zusätzliche Dialog-Kampfstätte, und wird mir länger in Erinnerung bleiben als die Diskurs-Schlachten.

Von einem, der auszog, weil er sich die Miete nicht mehr leisten konnte von René Pollesch und Dirk von Lowtzow. – Text und Regie: René Pollesch. – Songtexte und Komposition: Dirk von Lowtzow. – Arrangements und Orchestrierung: Thomas Meadowcroft. – Bühne: Bert Neumann. – Kostüme: Nina von Mechow. – Licht: Lothar Baumgarte. – Ton: Christopher von Nathusius, William Minke. – Video: Jens Crull. – Soufflage: Tina Pfurr,. -Dramaturgie: Anna Heesen. – Mit: Franz Beil, Lilith Stangenberg, Martin Wuttke, Martin Gerke (Bariton), Tina Pfurr (Soufflage), Filmorchester Babelsberg, Oliver Pohl (Dirigent) und dem Rundfunk-Kinderchor Berlin am Georg-Friedrich-Händel-Gymnasium. – Premiere an der Volksbühne: 13. März 2015. – Ca. 100 Minuten, keine Pause

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