Angélica Liddells klischeehaftes Weltschmerz-Selbstekel-Pathos führt zu Massenflucht: „You are my destiny“

Was soll man dazu noch schreiben?

Angélica Liddell und ihre Gruppe Atra Bilis Teatro haben sich ihr neues Stück You are my destiny (lo stupro di Lucrezia) doch eigentlich richtig schön aus dem Klischee-Baukasten zusammengestellt: Schreien und Stöhnen, dazwischen zehn Kinder, ein ukrainischer Männerchor für das spirituelle Gemüt, zehn Männer, die zuvor eine gefühlte halbe Stunde lang Wandsitzen müssen, bevor sie komplett durchgeschwitzt zu Boden sinken und die Kleider vom Leib reißen, Trommel-Sessions und eine Hauptdarstellerin, die wenn alles überstanden ist, ihre Unterwäsche ins Publikum wirft.

Um Weltschmerz und Selbstekel nach einer Vergewaltigung geht es, hämmern uns die Musikstücke und die gesprochenen Texte ein. Im Hintergrund eine venezianische Bilderbuch-Architektur, ansonsten ist die Bühne in Schwarz getaucht. Nur leider wird die gewünschte düstere Stimmung im Minutentakt gestört: Wieder mal strebt ein Zuschauer genervt vom hier zur Schau gestellten Weltschmerz zum Ausgang, das helle Licht des Foyers fällt durch die geöffnete Tür und wahrscheinlich wird im nächsten Moment auch wieder jemand, der sich kopfschüttelnd durch die Stuhlreihen zwängt, die Sicht auf den ukrainischen Chor oder die Kinder verdecken.

Um große Gefühle und um ein sehr ernstes Thema soll es an diesem Abend gehen. Aber der Schmerz bleibt nur Behauptung, ertrinkt in lustlos aneinandergeklatschten Szenen und gängigen Konfektionsbildern aus dem Handbuch der Performing Arts, wie Christian Rakow schrieb.

Jene, die bis zum Schluss durchhalten, können sich oft ein Lachen über diesen gründlich misslungenen Abend nicht verkneifen.

You Are My Destiny (lo stupro di Lucrezia) von Angélica Liddell / Atra Bilis Teatro. – Deutsche Erstaufführung am 30. Juni 2015 bei Foreign Affairs im Haus der Berliner Festspiele. – Text, Regie, Bühne und Kostüm: Angélica Liddell, Italienische Übersetzung: Marilena de Chiara, Übersetzung: Monika Kalitzke, Übertitel: Victoria Aime, Licht: Carlos Marquerie, Ton: Antonio Navarro, Kostüme: Pipa & Milagros, Hauben: Carolina Rivas, Regieassistenz und Inspizienz: Julio Provencio, Produktionsmanagement Génica Montalbano, Sindo Puche, Saité Ye, Übersetzung: 36caracteres. – Mit: Joele Anastasi, Fabián Augusto, Ugo Giacomazzi, Julian Isenia, Lola Jiménez, Antonio L. Pedraza, Andrea Lanciotti, Angélica Liddell, Borja López, Emilio Marchese, Antonio Pauletta, Roberto de Sarno, Isaac Torres, Antonio Veneziano und Acelya Aydinoglu, Jona Eisenblätter, Carlo Healy, Simon Kux, Lea Metscher, Serafin Mishiev, Jenja Schichau, Nina Semmelroggen, Anny Siting Yang, Kian Weichert (Miguel Dymarczyck, Lilly Matschonschek) Ukrainischer Chor Free Voice (Anatolii Landar, Oleksii Ievdokimov, Mykhailo Lytvynenko). – Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, keine Pause

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