„Die juristische Unschärfe einer Ehe“ am Gorki: Unaufgeräumter Gefühlshaushalt zwischen Berlin, Moskau und Baku

Sie finden keinen Halt: auf der schrägen weißen Wand versuchen die vier Schauspieler, sich nach oben zu hangeln und vorwärts zu krabbeln, sie rutschen aber doch immer wieder ab.

Altay, Jonoun und Leyla sind auf der Suche nach ihrem Platz in der Welt. „Die juristische Unschärfe einer Ehe“ beschreibt eine queere Ménage-à-trois, die zwischen Sehnsucht nach Nähe und der Jagd nach Abenteuern im Nachtleben hin und hergerissen ist. Wie unter einem Brennglas wird ihr „unaufgeräumter Gefühlshaushalt“ (FAZ zur Roman-Vorlage von Olga Grjasnowa) im Schlussmonolog zusammengefasst: Wo gehöre ich hin?

Es ist eine Stärke dieses Abends von Nurkan Erpulat, dass er sich hier von seiner Roman-Vorlage löst: diese Worte über die Ratlosigkeit, über das „Finden“ und das „Bleiben“ bringen auf den Punkt, worum die Protagonisten kreisen. Der Schluss ist überzeugender als Grjasnowas abrupt abbrechende letzte Roman-Seite, die einen Rückflug bei Champagner von Baku nach Berlin schildert.

Damit macht Erpulat auch einiges wett, das in den vorangegangenen knapp zwei Stunden nicht funktionierte. Am schwersten wiegt, dass er seine Figuren nicht ernst genug nimmt.

Mehr Tiefenschärfe und klarere Konturen hätten zwar auch den Figuren im Roman gut getan. Aber auf der Bühne geht noch mehr verloren: Was motiviert sie? Wie stehen sie zueinander? Vor allem der Psychiater Altay (Taner Şahintürk) wird in einigen Episoden zum albernen Abziehbild banalisiert.

Eine der Schlüsselszenen des Romans ist das Auftauchen von Yves, einer Trans-Schönheit mit Perlen, blauen Lidschatten und einem nachtblauen Satinkleid, der vom schwulen Altay mit nach Hause gebracht wird. Dort entspinnt sich ein subtiler Dreiecks-Flirt mit der lesbischen Leyla, die mit Altay in Moskau eine Scheinehe einging und vor der Homophobie in den Westen flüchtete. Aus Grjasnowas behutsamer Beschreibung eines Spiels mit Geschlechterrollen wird auf der Bühne nur oberflächliche Travestie (mit Mehmet Ateşçi im Fummel).

Der Roman bietet mehr lange Erzählstrecken als knackige Dialoge. Er würde sich sehr gut als Vorlage für ein Road-Movie mit Off-Stimme eines Erzählers im Programmkino eignen. Auch die sehr scharf beobachteten Skizzen, mit denen Grjasnowa Berliner Kieze von Charlottenburg über Mitte und Kreuzberg bis Neukölln pointiert beschreibt, mit denen sie vor allem Missstände in den postsowjetischen Kaukasus-Republiken kommentiert, sind sicher nur schwer in theatralische Mittel zu übersetzen. Auf diese Stärken des Romans müssen wir bei Erpulats Inszenierung verzichten.

Die vier Schauspieler helfen sich, indem sie abwechselnd mit dem Mikro an die Rampe treten und längere Passagen in den Zuschauerraum sprechen, bevor sie sich wieder einander zuwenden.

Leider haben Erpulat und sein Ensemble aber auch einige der raren Chancen verschenkt und z.B. diesen bühnenreifen Dialog aus der Vorlage einfach links liegengelassen: auf drei Seiten schildert Grjasnowa, wie sich Krankenschwestern, Ärzte und der Chefarzt eines Moskauer Krankenhauses in Altays Anwesenheit in homophobe Hasstiraden hineinsteigern.

Statt diese gelungene Steilvorlage dankbar aufzunehmen, wird in Erpulats Bühnenfassung nur das übliche Stammtisch-Gebrabbel wiederholt. So bleibt diese Szene weit hinter dem Witz der Vorlage zurück und erreicht leider auch nicht das Niveau und den Biss von Falk Richters Anklagen homophober Ressentiments („Small Town Boy“ am Gorki und „Fear“ an der Schaubühne).

Trotz dieser genannten Schwächen ist dem Abend zugute zu halten, dass er es schafft, eine stimmige Atmosphäre zu entwickeln. Wenn die Protagonisten ins Berliner Nachtleben zwischen Berghain und SO 36 eintauchen, dröhnen die Beats, tanzen die Körper ekstatisch und werden gestählte Muskeln auf der Videoleinwand stolz präsentiert. Zum „Vorglühen“, als Einstimmung auf den Feier-Marathon, eignet sich Erpulats Stück dennoch nur bedingt: diese Szenen machen nur einen Bruchteil des Abends aus, vor der Party müssen noch längere Durststrecken im Frontal-Unterricht-Stil ausgehalten werden.

In Erinnerung bleiben auch die Ballett-Szenen: alle vier Akteure (Mehmet Ateşçi / Mareike Beykirch / Lea Draeger / Taner Şahintürk) quälen sich in weißen Kleidern und Schühchen durch den Drill. Schaufensterpuppen-Gliedmaßen werden unnatürlich abgespreizt. Die drei Arten des Schmerzes, die Grjasnowa beschreibt, sind ihnen ins Gesicht geschrieben.

Fazit: Ohne die genannten Mängel wäre die Auseinandersetzung mit den Themen, die das Gorki beschäftigen, noch interessanter geworden: mit der Zerrissenheit zwischen unterschiedlichen Kulturen, der Suche nach den Wurzeln, dem Ausprobieren alternativer Lebensentwürfe.

„Die juristische Unschärfe einer Ehe“ ist zwar kein neues Aushängeschild des Gorki, fügt sich aber schlüssig ins Repertoire.

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