„Die Affäre Rue de Lourcine“: Publikums-Erfolg zwischen Klamauk und Loop-Effekten
Die von Henrike Engel gestaltete Bühne ist fast komplett in Weiß getaucht und als Leichenhalle bis zu einem christlichen Kreuz an der Rückwand stark verengt: der bürgerliche Salon des 19. Jahrhunderts, in dem Eugène Labiche seine wie am Fließband produzierten Boulevardkomödien ansiedelte, wird zum Krematorium. Ein ungemütlicher Ort, der sich ständig dreht, voller Hall-Effekte und Loops, die an diesem Abend im Deutschen Theater Berlin exzessiv eingesetzt werden.
Um die Fassaden bürgerlicher Wohlanständigkeit zu wahren und Unangenehmes unter den Teppich zu kehren, müssen schon echte Profis geholt werden. Das macht schon die erste Szene deutlich: Während das Publikum noch seine Plätze sucht, sind schon acht „Tatortreiniger“ unter Hochdruck am Werk.
Im Zentrum von Labiches Komödie, die tief im Klamauk und Slapstick herumwühlt, stehen zwei verkaterte Männer mit „Filmriss“. Oscar Lenglumé und sein Zech-Kumpel Mistingue werden von Michael Goldberg und Felix Goeser mit recht brachialer Komik gespielt. An diesen beiden Hauptfiguren des Stücks wird deutlich, wie brüchig das Fundament ist, auf dem gesellschaftliche Konventionen und Moralverstellungen errichtet wurden. Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes bereit, über Leichen zu gehen und vermeintliche Belastungszeugen aus dem Weg zu räumen.
Dass der Abend trotz seines derben Grundtons erstaunlich gut funktioniert, liegt vor allem an einer umwerfenden Anita Vulesica als Norine (Gattin von Lenglumé). Urs Widmer schrieb im Programmheft über Labiches Stücke: „Nicht zufällig sind sie voller Bombenrollen für Männer, die Frauen sind alle auswechselbar, entweder jung oder nicht mehr so jung oder Dienstmädchen.“ Damit räumt Regisseurin Karin Henkel auf: Vulesica ist das Kraftzentrum ihrer Inszenierung und erntet den stärksten Applaus. Wie sie vor Zorn bebt, um Fassung ringt und sich verzweifelt müht, die bürgerlichen Fassaden am Tag der Taufe ihres Neffen zu wahren, ist der Höhepunkt des Abends. Ganz in Schwarz gehüllt zieht sie in der sterilen weißen Umgebung ohnehin schon die Blicke auf sich. Der Überbiss, durch den sie ihre Ermahnungen zischt und keift, verstärkt diesen Effekt noch.
„Ein Tag mit Frank Witzel“: Assoziatives Kreisen um den Deutschen Buchpreis-Wälzer
Die Berliner Festspiele luden zu einem langen Sonntag Nachmittag-Gesprächsreigen ein: Die Veranstaltung „Ein Tag mit Frank Witzel“ nahm sich vor, den dicken Wälzer „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch depressiven Teenager im Sommer 1969“ aus mehreren Perspektiven zu beleuchten.
Einige Passagen aus dem Werk, das im Oktober mit dem prestigeträchtigen Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde, wurden von Schauspielern vorgetragen. Anschließend umkreisten Gespräche mit Carolin Emcke oder Philipp Felsch den Roman assoziativ. Trotz dieser klugen Köpfe bekam die Veranstaltung ihr Thema nicht richtig in den Griff und verlor sich zu sehr in Detailbeobachtungen.
Mal ging es um die überraschende Rückkehr der RAF in die Schlagzeilen. Die taz machte sich vor einigen Tagen auf der Titelseite über die „Seniorenkriminalität“ lustig und auch Carolin Emcke schüttelte über die banale Beschaffungskriminalität den Kopf. Mal wurden längere Ausschnitte aus der Dürrenmatt-Verfilmung „Es geschah am hellichten Tag“ eingespielt und analysiert.
Wir dürfen gespannt sein, ob es Armin Petras besser gelingt, sich dem lesenswerten Roman in seiner für April als Co-Produktion des Schauspiels Stuttgart und der Berliner Schaubühne angekündigten Theater-Inszenierung anzunähern.
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