Der Kopf des syrischen Flüchtlings Khaled (Sherwan Haji) taucht langsam aus einem Berg von Kohle-Briketts auf. Vorsichtig lugt er nach links und rechts, als „blinder Passagier“ versteckte er sich in dieser Schiffslieferung. Die schwarze Farbe kann er sich erst einige Szenen später aus dem Gesicht waschen. Dann wird auch endlich das erste Wort in Aki Kaurismäkis „Die andere Seite der Hoffnung“ gesprochen: „Shower?!“ fragt Khaled einen Obdachlosen.
Zwischen diesen beiden Momenten lernen wir die zweite Hauptfigur des Films kennen: Wikström (Sakari Kuosmanen) hat die Schnauze voll: er streift sich den Ehering vom Finger, legt ihn seiner Frau wortlos auf den Tisch und verschwindet grußlos mit seinem Wagen. Das zurückgelassene Lockenwickler-Wrack versenkt den Ehering angewidert und ebenso kommentarlos im überquellenden Aschenbecher.
Aki Kaurismäkis Film ist beides: sowohl die von ihm seit den 80er Jahren gewohnte finnische Tragikomödie mit wortkargen Eigenbrötlern, die melancholisch in ihrem Paralleluniversum dämmern, als auch ein starkes Statement zur Integration der Flüchtlinge.
Frontal spricht Khaled in die Kamera, als er den zuständigen Sachbearbeitern seine Odyssee von Aleppo nach Helsinki schildert. Die Beamten der Immigrationsbehörde (für die es eines dieser ellenlangen Wörter gibt, für die die finnische Sprache berühmt ist) lassen sich davon nicht beeindrucken und lehnen seinen Antrag ab. Über die Türkei soll er nach Syrien abgeschoben werden. Typisch Kaurismäki ist das Setting dieser aus der Zeit gefallenen Behörde: abgewetzte Büromöbel, hässliche Polster, altmodische Schreibmaschinen, wie man sie heute sicher in keiner Dienststube Skandinaviens finden kann, und vor allem ganz viel Zigarettenqualm. Ohne Nikotin kommt kein Kaurismäki-Film aus, die Berliner Zeitung verlieh ihm deshalb den „Ehrenteerbär“ bei der Berlinale 2017, wo der finnische Regisseur schon sichtlich von seiner Suchterkrankung gezeichnet war.
Noch skurriler wirkt die Kaschemme „Zum Goldenen Krug“, die Wikström übernommen hat, nachdem er gleich nach der Ehe auch seinen Job als Vertreter für Textilwaren an den Nagel gehängt hat. Stoisch ertragen die Angestellten alle Versuche, den Laden zum Laufen zu bringen: statt Hering und Fleischklopsen probiert man es mit trendigem Sushi, hat aber schnell die Lebensmittelaufsicht am Hals.
Auf der Flucht vor – hier als besonders dumpfbackig karikierten – Nazis landet Khaled irgendwann auf dem Müllplatz hinter dem runtergekommen Restaurant und wird von den traurigen Gestalten ganz selbstverständlich aufgenommen. Auch dafür braucht es ganz wenige Worte.
Kaurismäkis neuer Film „Die andere Seite der Hoffnung“ schleppt sich in der gewohnten Melancholie und Entschleunigung dahin und dauert gefühlt viel länger als 98 Minuten. Wie von diesem Promi des europäischen Autorenkinos gewohnt gibt es auch immer wieder Momente zum Schmunzeln, besonders über den kurzen Gastauftritt von Kaurismäkis Lieblings-Schauspielerin Kati Outinen, die mitten in der Tristesse ihres natürlich ebenso schlecht laufenden Ladens vom Hula-Tanzen auf Hawaii träumt.
Alles in allem ist der neue Kaurismäki-Film ein solides Alterswerk, das seinen Anhängern viel Gewohntes bietet. Der Jury der Berlinale 2017 war dieser Film dennoch einen Silbernen Bären für die Beste Regie wert. Wie Martin Schwarz in der zitty feststellte, sagt dies vor allem etwas über das Niveau des restlichen Berlinale-Jahrgangs aus.
„Die andere Seite der Hoffnung“ startete am 30. März 2017 in den Kinos. Webseite und Trailer
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