Statt des üblichen Kulturbetrieb- und Premierenpublikums dominierten heute Nachmittag bei der Eröffnung der neuen Volksbühnen-Intendanz von Chris Dercon folgende Besuchergruppen: stolze Eltern der Kinder, die in diversen Ballett- oder HipHop-Gruppen mitmachten, Familien, die mit Rollerskates und Kinderwagen auf dem Sonntags-Ausflug zum Tempelhofer Feld eine Pause einlegten und dem munteren Treiben zusahen, schließlich Berliner Rentner, die „Dit erschließt sich mir nich janz“ oder ähnliches maulten.
Der französische Choreograph Boris Charmatz, der dem Berliner Publikum schon 2014 mit einer Werkschau beim „Foreign Affairs“-Festival der Berliner Festspiele vorgestellt wurde und zu den prägenden Künstlern des Dercon-Teams gehören wird, lud unter dem Motto „Fous de danse“ („Verrückt nach Tanz“) Stars der Choreographenszene wie Anne Teresa De Keersmaeker, eine extrem heterogene Mischung verschiedener Gruppen (z.B. Staatliche Ballettschule Berlin, die Berliner Flying Steps Academy, das BEM Folk Dance Ensemble sowie Schüler aus Rennes, wo Charmatz das „Musée de la danse“ kuratiert) und alle Interessierten zum Mittanzen und Zuschauen ein.
Auf dem Vorplatz des wuchtigen, mittlerweile stillgelegten Tempelhofer Flughafen-Baus folgte eine kurze Einlage auf die nächste. Der Stilmix war Programm: nach Breakdance kam die Rekonstruktion einer minimalistischen Choreographie von Lucinda Childs. Schüler versuchten sich an „Le Sacre du printemps“, der Syrer Mithkal Alzghair erzählte in seinem Solo „Displacement“ von Flucht und Exil, bevor türkische Volkstänzer den Staffelstab übernahmen.
„Fous de danse möchte eine Tanzgemeinschaft stiften, um den Asphaltboden des Tempelhofer Flugfeldes mit der Sprengkraft der Körper aufzuladen.“ Die Realität war wesentlich nüchterner als diese pathetische Programmheft-Prosa: ein netter Ausflug nach Tempelhof und das klare Bekenntnis, dass Tanz in den nächsten Monaten eine feste Säule im bisher noch recht nebulösen Programm der Volksbühne sein wird. „Ganz Berlin tanzt auf Tempelhof“, erträumte sich Charmatz. Am ersten sonnigen Spätsommer-Nachmittag nach einigen verregneten, kühlen Tagen waren in den ersten Stunden immerhin einige Hundert Besucher gekommen.
Bild vom Warm-Up: Barbara Braun