Styx

Nach dem Fluss der Unterwelt aus der griechischen Mythologie ist der Eröffnungsfilm der Reihe Panorama Special benannt, der gestern im Zoo-Palast Premiere hatte. „Styx“, was auf Deutsch so viel heißt wie „Wasser des Grauens“, ist ein wortkarger Film.

Wir erleben Susanne Wolff, die das Ensemble des Deutschen Theaters Berlin vor einigen Monaten leider verlassen hat, in der Rolle der Ärztin Rike: Bei einem Notarzteinsatz holt sie die Verletzten eines illegalen Wettrennens aus ihren Autos. Jeder Handgriff sitzt. Professionell und ohne ein Wort zu viel verrichtet sie ihre Aufgabe.

In der nächsten Einstellung sehen wir die Ärztin bei ihrer Auszeit. Sie fliegt nach Gibraltar und mietet dort ein Segelschiff, mit dem sie über den Atlantik zu einer abgelegenen Insel schippern will, deren Artentreichtum schon Charles Darwin faszinierte. Der österreichische Regisseur Wolfgang Fischer macht mit dieser Exposition symbolisch zweierlei deutlich: Die sprichwörtlichen Affen von Gibraltar, die durch die erste Einstellung turnen, lassen sich unschwer als Kritik an der „Nichts sagen, nichts sehen, nichts hören“-Haltung lesen, mit der das Sterben der Refugees auf dem Mittelmeer in den westlichen Gesellschaften hingenommen wird. Die Anspielung auf Darwin unterstreicht, dass sich die Dramen der Flüchtlinge auf hoher See nach dem Prinzip „Survival of the Fittest“ abspielen. Schlepper kassieren ab und überlassen sie auf völlig überladenen, maroden Fischkuttern ihrem Schicksal. Als die Flüchtlinge das kleine Boot der Ärztin sehen, springen sie ins Wasser und ertrinken bei dem Versuch, zu ihr zu schwimmen. Nur ein namenloser Junge (Gedion Oduor Wekesa) erreicht das rettende Boot der Ärztin.

„Styx“ ist ein Film fast ohne Dialoge. Es wird nur das Nötigste gesprochen. Immer wieder hören wir, wie Rike (Susanne Wolff) Funksprüche absetzt und Hilfe anfordert. Präzise gibt sie ihre Informationen. Ebenso knapp wird ihr von anonymen Stimmen geantwortet: Die Küstenwache verspricht zwar Hilfe, die aber zu viele Stunden auf sich warten lässt. Passierende Schiffe, die sie anfunkt, antworten ihr, dass ihre Firma ihnen jede Beteiligung an der Seenotrettung von Flüchtlingen verboten habe.

Rike ist extreme Situationen aus ihrer Arbeit als Notärztin gewohnt und behält nach außen die Kontrolle. Sie funktioniert wie üblich. Ihr Ton wird zwar verzweifelter und gereizter, die Funksprüche verlieren aber nichts von ihrer Präzision. Wie tiefe Spuren dieses Erlebnis hinterlassen hat, macht das Ende deutlich: Susanne Wolff sitzt apathisch und traumatisiert mit einer Decke um die Schultern, während Leichensäcke abtransportiert werden. Der Film klingt mit einer „Styx“-Melodie aus, die Dirk von Lowtzow eigens komponiert hat.

„Styx“ ist ein bedrückender Film, der ohne große Effekte vom täglichen Sterben auf dem Meer erzählt. Die WDR/arte-Co-Produktion wird sicher auch bald im TV zu erleben sein.

Bild: © Benedict Neuenfels 

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