Der Einstieg ist vielversprechend: Selbstironisch setzt sich das Gorki Theater mit den Vorwürfen auseinander, die Shermin Langhoffs Intendanz seit dem Start im Herbst 2013 begleiten. Nika Miškovíc, die Regisseur Oliver Frljić als Gast mitgebracht hat, wirft ihren Mitspielerinnen und Mitspielern vor, dass sie sich in ihrer Nische gemütlich eingerichtet haben. Talent müsse man nicht vorweisen, ein Migrationshintergrund reiche völlig, am besten habe man noch eine queere sexuelle Orientierung, dann stehe einem Engagement am Gorki nichts mehr im Weg. Der Spielplan komme nicht über eine Nabelschau von und für Minderheiten hinaus.
Schon dieser erste Teil verheddert sich aber etwas zu sehr in seinen ironischen Wendungen. Falilou Seck, deutscher Schauspieler mit senegalesischem Hintergrund, fragt sich, ob es nicht umgekehrte Diskriminierung sei, wenn am Haus die Spieler ohne Migrationshintergrund in der Minderheit sind, und wartet mit einem angeblichen Nazi-Großvater auf, worüber sich seine Kollegen derart aufregen, dass sie ihn schreiend von der Bühne jagen. Mehmet Ateşçi moderiert anschließend das Casting, welches deutsche Ensenemble-Mitglied das Haus verlassen muss. Per Applausometer soll das Publikum darüber abstimmen, wer die herzzerreißendere Geschichte erzählt: Mareike Beykirch, die einen Handlungsstrang aus Falk Richters „Verräter“ weiterspinnt und von Hartz IV in Sachsen-Anhalt, einem gewalttätigen Stiefvater ausländischer Herkunft und Vorwürfen im Sizilien-Urlaub wegen der deutschen NS-Vergangenheit erzählt? Oder Svenja Liesau, die behauptet, dass sie von ihrem syrischen Ex-Freund vergewaltigt wurde und ein Kind (Alexander Sol Sweid) mit auf die Bühne bringt?
Langsam robbt sich der Abend im zweiten Teil an die AfD heran. Das halbe Ensemble dieses Abends sei mittlerweile in die Partei eingetreten. Auf der Bühne beginnt ein Disput mit heftigen Beschimpfungen, die zur Hälfte untergehen, weil sich die Spielerinnen und Spieler gegenseitig ins Wort fallen. Dramaturg Aljoscha Begrich sprach in einem Radiointerview vom Ziel, den „Normalisierungsprozess in der Gesellschaft, der sich breit macht und wo auch Leute, von denen man denkt, sie sind links oder behaupten immer, links zu sein, eigentlich aber immer mehr rechtes Vokabular, rechte Statements in ihre Gespräche einbringen“ abzubilden. Dem kommen einige Szenen von Mehmet Ateşçi am nächsten, der davon erzählt, dass das heutige, von Gentrifizierung und Touristen besuchte Kreuzberg nur noch wenig mit dem Kiez seiner Kindheit zu tun habe, und sich dann in Abschottungsreflexe und Überfremdungsängste hineinsteigert.
Zum Abschluss der kurzweiligen 80 Minuten befasst sich der Abend sehr explizit mit der AfD: Einige Passagen aus dem Wahlprogramm zum Bundestag werden gemeinsam mit Zitaten aus einem Cicero-Essay des AfD-Vordenkers Marc Jongen zur Euro- und Finanzkrise aus dem Jahr 2014 präsentiert. Statt einer wirklichen Auseinandersetzung mit den Thesen lässt Oliver Frljić die Schlagworte nur auf das Publikum einprasseln.
Zu platt ist die letzte Szene geraten, in der Provokateur Frljić die neu in den Bundestag eingezogene AfD gedanklich mit einem berühmten Goebbels-Zitat kurzschließt, der darüber spottete, dass sich die Demokratie ihren Feinden wehrlos ausliefere und ihnen alle Mittel an die Hand gebe, sie abzuschaffen.
Leider endet „Gorki – Alternative für Deutschland?“ dort, wo die Auseinandersetzung und der Streit beginnen müssten, so dass der Abend nicht über ein launiges Intro in sein brisantes Thema hinauskommt.
Bild: Esra Rotthoff