Zustimmendes Kichern geht durch die Reihen, als Stefanie Reinsperger aus der Textfläche „Krieg“ von Rainald Goetz zitiert und verkündet: Theater sollte nicht länger als 90 Minuten dauern – 45 Minuten vor der Pause und noch mal eine halbe Stunde danach.
Als sich der rote Vorhang im Berliner Ensemble nach Reinspergers Monolog senkt, sind allerdings mehr als zwei Stunden vergangen und erst der erste Teil („Heiliger Krieg“) der Trilogie abgespielt.
Kurz zuvor war schon ein deutlich vernehmbarer Stoßseufzer zu hören, der zusammenfasste, was bis dahin zu erleben war: das Publikum wurde mit Stroboskop-Attacken traktiert und bekam eine gekürzte Fassung des Rundumschlags geboten, den Rainald Goetz 1986 der bundesrepublikanischen Gesellschaft entgegen schrie.
Das Problem dieser ersten Hälfte: die Bruchstücke stehen disparat im Raum. Der stakkatohafte Ton, mit dem Goetz wie im Delirium von Martin Heidegger über Harald Juhnke zum RAF-Gefängnis Stuttgart-Stammheim sprang, fehlt. Die Szenen werden kurz angespielt, meist verpufft ihre Wirkung, der Irrwitz der Vorlage bleibt auf der Strecke. Nur wenige Ausnahmen sind zu erleben: Stefanie Reinsperger als nackte „Hanna“ in ihrem Monolog über den befreiten Menschen und Constanze Becker in Gummi, Lack und Leder beim „Texas Chainsaw Massacre“, das mit „Stampfen“ überschrieben ist, während über ihr eine beleuchtete Scheibe unerbittlich kreist.
Die Abrechnung mit dem Theater, die Rainald Goetz in seinen Text hineinpackte, wird bei Gerrit Janssen zur Comedynummer, die sich weglächeln lässt. In einem kleinen bösen Seitenhieb auf „Liberté“ an der Volksbühne wird er über die Bühne getragen und schwadroniert über das „Grill Royal“. Die giftigen Spitzen gegen kryptische Programmhefte, die „Userfeindlichkeit“ und gegen „elegante mündige Bürger“, die vom „privaten Psychokram“ auf der Bühne gelangweilt sind, gehen fast unter.
Auch nach der Pause findet Robert Borgmanns Inszenierung nicht den richtigen Ton. Goetz hat Teil 2 („Schlachten“) als klaustrophobisches Kammerspiel über einen gescheiterten Künstler, der Frau und Töchter tyrannisiert, angelegt. Ingo Hülsmann und die drei Frauen (Becker, Reinsperger und Annika Meier) sind in sektenartige Kutten mit Kapuzen gehüllt, die Drehschreibe schwebt über ihnen. Aber die bedrohliche Atmosphäre, die beim Lesen zu spüren war, überträgt sich auf der Bühne nicht.
Auch beim dritten Teil („Kolik“), den Aljoscha Stadelmann in Zwangsjacke in einen engen Kasten eingepfechert spricht, zeigt sich die grundlegende Schwierigkeit dieses Abends: Stefan Krankenhagen von der Uni Hildesheim arbeitet im Programmheft heraus, dass die drei Stücke, die Rainald Goetz 1986 (drei Jahre nach seinem legendären Selbstverletzungs-Auftritt beim Klagenfurter Bachmann-Wettbewerb) schrieb „für ein gegenwärtiges Theaterverständnis zu wenig Spielmaterial“ bieten.
So bleibt „Krieg“, das am Berliner Ensemble erstmals mit allen drei (stark gekürzten) Teilen zu sehen war, ein gewagtes Experiment, das seinem Publikum viel zumutet, aber die Textbrocken nur mit ächzender Mühe stemmen kann.
Bilder: Julian Röder