Der Vater

Dieses Stück packten alle Häuser, denen es Nicolas Stemann anbot, nur mit spitzen Fingern an: August Strindbergs „Der Vater“ (1887) wollte kein Theater auf den Spielplan setzen.

Die Ablehnung hat nachvollziehbare Gründe: zu sehr scheint dieses Drama über den Streit zwischen einem Rittmeister und seiner Frau Laura, ob sie bei der Erziehung der Tochter Bertha überhaupt ein Wort mitreden darf, aus der Zeit gefallen. Als wütende Reaktion auf Ibsens „Nora“, die aus der Ehe ausbricht, schrieb Strindberg ein Stück, in dem die weibliche Hauptfigur denkbar schlecht wegkommt. Mit Intrigen treibt Laura ihren Mann in den Wahnsinn, der schließlich daran zerbricht und einen Schlaganfall erleidet.

Erst die Münchner Kammerspiele schlugen ein und erlaubten Stemann, diesen angestaubten Stoff auf die Bühne zu bringen. Im April 2018 hatte „Der Vater“ als seine letzte Inszenierung als Hausregisseur an der Münchner Maximilianstraße Premiere, bevor er ab der nächsten Spielzeit gemeinsam mit seinem Dramaturgen Benjamin von Blomberg die Intendanz des Zürcher Schauspielhauses übernehmen wird.

Im von Stemann gewohnten Ironie-Modus nehmen zunächst ein Mann und eine Frau auf einem Sofa in der giftgrünen Bühnenlandschaft von Katrin Nottrodt Platz. Julia Riedler und Daniel Lommatzsch wechseln mehrfach die Rollen des Rittmeisters und seiner Frau und plaudern sich durch eine Cross-Gender-Performance, die sich recht zäh dahinschleppt.

Langsam nimmt Stemanns „Der Vater“-Inszenierung mehr Fahrt auf: Zeynep Bozbay und Benjamin Radjaipour kommen als doppelte Tochter Bertha auf die Bühne. Ständig ein Buch vor der Nase, zitieren sie sich durch Klassiker der feministischen und Gender Studies-Literatur von Judith Butler bis zum SCUM-Manifest von Valerie Solanas. Ihre Altklugheit erinnert sehr an die Kinder von Brigitte Nyborg, die Tilmann Strauß und Regine Zimmermann in Stemanns schon abgespielter „Borgen“-Parodie an der Berliner Schaubühne (2016) verkörperten.

Der Patriarch der Familie fällt in sich zusammen, bis Daniel Lommatzsch nur noch ein Häufchen Elend im Schlafrock ist. Dumpfes Macho-Gehabe wird karikiert, Benjamin Radjaipour schließt eine Mario Barth-Parodie mit Frank Castorfs Alt-Herren-Provokationen über Frauen-Fußball kurz, die er in seinem SZ-Interview im Sommer 2018, also erst einige Monate nach der Premiere, von sich gab.

Der Schluss gehört Wiebke Puls: in ihrem Solo spricht sie die Texte beider Ehepartner, bäumt sich zu einem letzten sinnlosen Wutanfall auf und liegt am Ende in der Zwangsjacke am Boden. Von den Balkonen hat der Camerata Vocale München-Chor einen letzten Auftritt. In ihren Holzfällerhemden und mit langen Bärten mischten sie schon davor, als der Patriarch noch Oberwasser zu haben schien, mit bierseligen „Olé, wir fahren in den Puff nach Barcelona“-Gröl-Gesängen die Szene auf. Mit einem vielstimmigen ironischen „Amen“ besiegeln sie nun den Untergang des Familienvaters, das entkräftet und gescheitert am Boden liegt.

Die Dauerironie des Abends nervt zuweilen, erst in der zweiten Hälfte wird „Der Vater“ stärker und interessanter. Das Konzept, den mehr als ein Jahrhundert alten Stoff auf aktuelle Diskurs- und Theorie-Schnipsel prallen zu lassen, geht nur zum Teil auf.

Bilder: Thomas Aurin

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